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What's the Matter?

Konzentriert: Matters «Erben» mischen seine Songs neu auf. Von links: Markus Fehlmann und Kuno Lauener von Züri West, Tonmeister Eric Merz, Stephan Eicher.

Die vom Berner Tausendsassa Dänu Boemle initiierte Hommage wollte beweisen, «wie zeitlos, aktuell und unvergänglich die Chansons des grossen Troubadours» sind. Im Rückblick fällt die Erfolgsbilanz zwiespältig aus. Als wohl ambitionierteste Produktion eines Schweizer Indie-Labels ist «Matter-Rock» ein Meilenstein. Doch im Gegensatz zu Matters Evergreens sind viele der Rock-Adaptionen auf dem Album nicht gut gealtert. «Kunscht isch geng es Risiko», hatte Mani im Lied vom «Eskimo» gesungen. Tatsächlich: Matters Chansons gab es eigentlich nichts beizufügen, das Scheitern war schon in der Übung angelegt. Diejenigen Rocker, die den Rhythmus der Sprache mit dem 4/4-Hammer geradezubiegen versuchten und die karge Musik mit einem feschen Gitarrensolo aufspritzten, waren auf dem Holzweg.

«Ohne ins Detail gehen zu wollen: Es hat auf ‹Matter-Rock› auch simplen Quatsch, der nicht einmal in die Nähe von Matters Tiefe kommt», meint Büne Huber, der auf dem Sampler mit «Wo mir als Bueben emal» zu hören ist. Es gibt aber auch überraschende, überzeugende Momente auf «Matter-Rock»: Resli Burris verschmitzten «Boxmätsch» etwa, oder Housi Wittlins Version der «Gschicht vom Polizischt», die er zusammen mit Stop The Shoppers einspielte. Die Kritik war gespalten: «Super!» schrieb der «Blick», «Wie eine Hymne, aber viel besser», schwärmten die «Berner Oberländer Nachrichten». Das «Aargauer Tagblatt» dagegen bemängelte die «vielen langweiligen, zum Teil sogar schludrig interpretierten Stücke» und im «Bund» beschwerte sich Christian Pauli über die «Allerwelts-Gitarrenriffs» und darüber, dass die Matter-Rocker «vom Text wenig begriffen» hätten.

Man darf nicht ausblenden, wie es sich mit dem messbaren Erfolg verhielt: Die Hommage war ein Verkaufsschlager, der die träge Konkurrenz der Major-Firmen aus ihrem Ledersessel-Reduit scheuchte und sie veranlasste, aus allen Kanonen auf die frechen Berner Spatzen zu schiessen: «Matter-Rock» wurde trotz Platin-Auszeichnung (die damals für 50'000 verkaufte Einheiten stand) via den Branchenverband IFPI vom Spitzenplatz der Hitparade gestrichen – angeblich, weil Samplerplatten ihre eigene Hitparade haben. Auch eine weitere, unerwartete Nebenwirkung hatte das monumentale Werk: Der Rest der Schweiz begann gegen die Dominanz und die vermeintliche Verbrüderung der Berner Mundartrocker aufzubegehren. Eugen aus Schaffhausen veröffentlichten eine böse «Antwort»-Single auf den «Matter-Rock». «Si hei afa holleie u sirache schuderbar, uf sym Grab hei si tanzet, wie wenn Chilbi wär», lästerte Sänger Stephan Ramming.

Mani Matter und der Berner Rock: Das passte ursprünglich etwa so zusammen wie der französische Chansonnier Georges Brassens und der amerikanische Lastwagenfahrer Elvis Presley. Scharfsinnige Zweizeiler trafen auf kreisende Becken, philosophische Betrachtungen auf effektvolle Urschreie, Rotwein auf Coca-Cola. So erstaunt es nicht, dass sich die beiden Szenen in den Sechzigern, als die «Lumpeliedli» der Troubadours und der «Yeah Yeah»-Lärm der ersten Berner Rocker frühe Erfolge feierten, kaum wahrnahmen. Zwar war man wie durch ein unsichtbares Band verbunden: Beide Gruppierungen waren den «Nonkonformisten» zuzurechnen, die sich mehr oder weniger offen gegen das Bünzli-Wesen auflehnten. In eine organisierte «Gegenkultur» liessen sich aber weder Troubadours noch die Rocker einbinden. Die einen waren ihrer Herkunft nach zu bürgerlich, die anderen zu sehr mit dem Kopieren ihrer Vorbilder beschäftigt. «Wir waren wie zwei Seiten der gleichen Strasse», sagt Hugo Ramseyer, der in dieser Zeit selber Chansons sang. «Man wohnte in der Nachbarschaft, interessierte sich aber kaum füreinander. Ich bedaure das im Nachhinein ausserordentlich.»

Einer, der gelegentlich die Strassenseite wechselte, war Polo Hofer. Er spielte an Festen, die von beiden Szenen frequentiert wurden und wechselte als erster einheimischer Rocker zum Berndeutsch. Polo und Mani kamen nie in persönlichen Kontakt – obschon beide immer stilistische Offenheit gezeigt hatten: Matter interessierte sich auch für Popmusik, Hofers Mundartband Rumpelstilz versuchte sich angeblich an dessen «Eskimo». 20 Jahre nach Matters Unfalltod im November 1972 hörte man Polo Hofer auf «Matter-Rock» einen der schwerblütigsten Texte des Geehrten interpretieren: «Warum syt dir so truurig?», von Matter nicht mehr selber eingespielt. Instinktiv erfasste der an unzähligen Coverversionen geschulte Sänger die bluesige Stimmung des späten Meisterwerks.

Es war nicht die erste Generation des Berner Rock mit Rumpelstilz und Span, die das subversive Element in Mani Matters träfen Versen entdeckte. Matter ersang sich den Zugang zum Berner Rock über die Kinderstuben der zweiten Mundartrockgeneration, wo die Vinyl-EPs der Berner Troubadours auf dem Plattenspieler drehten. Züri West beschäftigten sich als erste und einzige Berner Rockband kontinuierlich mit Matters Werk. Ihre erste Adaption war das dadaistisch angehauchte «Är het uf sym Chopf e Chopf gha». Echte Sprengkraft entwickelte aber erst «Dynamit», das die Debüt-LP «Sport und Musik» von 1987 eröffnete. Mitten im frostigen Klima der Berner Achtzigerjahre, den Strassenschlachten um kulturelle Freiräume und der hilflosen Reaktion der Obrigkeit, blieb einem das Lehrstück über die Demokratie wie ein Klumpen im Hals stecken. Dass die Band mit Matters Werk vertraut war, hörte man auch ihrem «Matter-Rock»-Duett mit Stephan Eicher an. Die Version von «Alpeflug» gehört noch heute zu den Konzerthighlights der Band. Eicher hatte auf seinem Album «Engelberg» (1991) bereits mit seiner Interpretation von «Hemmige» für Furore gesorgt. Sie brachte Matters berndeutsche Poesie dorthin zurück, wo mit Georges Brassens alles begonnen hatte: nach Paris. Im altehrwürdigen «Olympia» sangen die Fans den Text über den tieferen Sinn der Triebunterdrückung mit, ohne ihn zu verstehen. Matters Lieder waren eben doch mehr als vertonte Reime, ihr Ohrwurmcharakter ist nicht wegzurocken.

Mit Eichers zigeunernd swingendem Hit und dem «Matter-Rock» hatte das Fieber seinen Höhepunkt erreicht, war das Pulver verschossen. Seither ist es ruhiger geworden. Aber nicht still: Ueli Schmezer hat Eichers «Tsigane meets Matter»-Idee aufgegriffen und ist mit seiner Band «MatterLive» erfolgreich unterwegs. Schauspieler Nils Althaus erinnert in seinen Chansons stark an Matter. Auch für die nächste Generationen des Mundartrock dürfte der selbst deklarierte «Värslischmid» eine ebenso wichtige Rolle spielen wie Elvis, Bob Dylan, Madonna oder 2pac Shakur. Solange Mani Matters Lieder die Kinder- und Schulstuben erreichen, wird die Faszination für seinen unvergleichlichen Umgang mit der Mundart weitergegeben. «Dass da einer war, der mit seiner Sprache wirklich differenziert und gescheit umging, das war die prägende Geschichte», sagt Büne Huber. «So konnten neue Mundartsachen entstehen. Auch mir hat der Matter etwas bedeutet. Und meine Tochter findet ihn ‹dr Hammer›.»