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Menschen im Aufbruch

Die Heimkehrer

Im September 1945 kehrte der Kunstschmied Karl Koller nach Köln zurück. Er hatte den Krieg als Luftwaffensoldat überlebt. Irgendwo in Rußland hatte er seinen Bruder Moritz getroffen, der auf dem Rückzug von Stalingrad war; acht Tage später starb der Bruder an Flecktyphus. Karl Koller begrub ihn, setzte ihm ein Kreuz und nahm eine Fotografie des Grabes mit. Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Gefangenschaft, ein halbes Jahr später entkam er und ging nach Köln. Es war ein Weg voller Hoffnung. Karl Koller kannte ein Grundstück, dort, wo heute die Nord-Süd-Fahrt die Straße Unter Sachsenhausen kreuzt. Dort wollte er eine Schmiedewerkstatt einrichten.

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In Köln suchte Karl Koller nach seinem Bruder Rudolf, der bei der Deutschen Bank arbeitete und dort für Grundstücke und Bauten zuständig war. Karl Koller brachte seinem Bruder zwei Zigarren mit, die er sich verdient hatte, indem er eine schwere Karre von Junkersdorf in die Innenstadt schob. Er fragte nach seinem Bruder und wurde in den Keller des einst jüdischen Bankhauses Oppenheim geschickt; bei Oppenheim war die Deutsche Bank provisorisch untergebracht, weil ihr eigenes Gebäude zerbombt war. Das Haus Oppenheim war unzerstört geblieben und von der Besatzungsmacht als entmint freigegeben worden. Rudolf Koller beaufsichtigte im Keller Arbeiten für einen Tresor, und er freute sich über die Heimkehr seines Bruders und über die beiden kostbaren Zigarren. Karl Koller sah eine Truhe und fragte, ob er die wohl für sein Werkzeug mitnehmen dürfe. Als er an der Truhe hantierte, explodierte eine Tellermine, die die Besatzer übersehen hatten.

An diesem Tag starben drei Menschen, darunter Karl Koller selbst. Sein Bruder Rudolf Koller erlitt furchtbare Verwundungen. Ein Brett fuhr ihm quer durch die Wade, und seine Gesichtshaut war völlig verbrannt. Aber er überlebte und behielt sein Augenlicht, weil seine Brille die Augen geschützt hatte.

Karl Koller war einer der letzten Toten dieses Krieges. Er starb, als er beginnen wollte, sich wieder eine Existenz aufzubauen in dieser Stadt, die sich nur ganz allmählich wieder mit Leben füllte. Monatelang war Köln eine Stadt fast ohne Menschen. Am 6. März 1945, beim Einmarsch der Amerikaner, lebten noch ein paar tausend Einwohner in den Trümmern; einen guten Monat später waren 42 000 Einwohner registriert, wie die Besatzungszeitung "Kölnischer Kurier" am 16. April meldete. Dann kamen die anderen Kölner zurück, die Flüchtlinge und die Evakuierten, die entlassenen Kriegsgefangenen und die, die sich wie Karl Koller "selbst entlassen" hatten. Am 8. Mai, dem Tag der Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht, hatte Köln immerhin wieder 100 000 Einwohner. Trotzdem waren die Straßen noch gähnend leer.

"Man sah kaum einen Menschen", berichtet Hanns Schaefer, der im Frühsommer 1945 zurückkam. "Das Gefühl ist nicht in Worte zu fassen. In der Hohestraße stand kein Haus mehr, auch nicht in der Breitestraße. Alle großen Kirchen waren zerstört." Seine Eltern hatten sich aufs Land nach Dülken - das ist in der Gegend von Viersen - geflüchtet; von seiner Schulklasse hatten nur drei junge Männer den Krieg überlebt. "Beherrschend", sagt Hanns Schaefer, "beherrschend war die Einsamkeit."

Hubert Prehl weiß noch, wie er in die zerstörte Gürzenichstraße ging: "Der Kaufhof mit seinen Grundmauern stand noch, wie hier alle großen Geschäftshäuser, sie waren aber fast alle ausgebrannt." Zwischen dem Neumarkt und den Bächen aber stand praktisch kein Haus mehr. Ein totes Gebiet, erinnert sich Prehl. "Besonders schlimm sah es am Mauritiussteinweg aus, nichts erinnerte mehr daran, daß sich hier einmal die Bob- und Alexianerstraße befunden hatten." Der Torso der Mauritiuskirche ragte einsam auf, und dann stand noch irgendwo ein schmales Haus mit einem Tapetengeschäft.

Immer wieder die Bilder vom zerstörten Köln, die Fußwege und die Straßenbahnfahrten durch die Trümmer. Für Käthe Gauding, die damals fünf Jahre alt war und mit Mutter und Großmutter aus Sachsen heimreiste, bildet diese Rückkehr eine der ersten konkreten Erinnerungen. Die Eltern von Liselotte Seck, die mit ihr in die Gegend von Görlitz geflüchtet waren, hatten das wichtigste Hab und Gut in einen Kinderwagen gepackt. Mehr wurde nicht mitgenommen. Es wurde August, bis die Familie zurückkehren konnte. Ein Lastwagen brachte sie in die Stadt. Liselotte Seck war acht Jahre alt, und sie erinnert sich noch an die vielen Kurven, die der Lkw fahren mußte, um den Bombentrichtern auszuweichen. Die Familie hatte keine Wohnung mehr; das Haus am Kaiser- Wilhelm-Ring, wo sie bis zum Februar 1945 gelebt hatte, war zerstört. Die Eltern fanden eine leerstehende Wohnung an der Gilbachstraße, direkt am Stadtgarten. Die Familie von Anneliese Bliersbach konnte im Haus von Bekannten leben, das "recht gut erhalten war", nur daß Fenster und Türen fehlten und das Dach nicht dicht war. Als Sitzgelegenheiten dienten mangels Stühlen die Löscheimer aus den Bombennächten. Die paar Wertsachen, die die Eltern bei der Evakuierung ins Oberbergische hatten retten können, hatte ihnen der Bauer weggenommen, bei dem sie untergebracht waren. "Wir wurden wie Eindringlinge behandelt, so wie heute manche Ausländer. Und man nahm uns tüchtig Geld ab."

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Andere kamen mit mehr Eigentum zurück. Die Familie von Frau Weisshaupt zum Beispiel konnte einen ganzen Eisenbahnwaggon voller Möbel aus Baden-Baden nach Köln bringen. Das war ein Entgegenkommen der französischen Besatzusmacht: Die Franzosen wußten, daß ihr Mann in seiner Ofenrohrfabrik in Ehrenfeld französische Kriegsgefangene beschäftigt und gut behandelt, wohl auch einem höheren Offizier das Leben gerettet hatte. Die Bahnfahrt, die mit dem Intercity heute in dreieinhalb Stunden zu bewältigen ist, dauerte sechs Tage.

Es waren lange und schwierige Reisen nach Köln und ins Kölner Land. Artur Dietz zum Beispiel wurde nach einer Odyssee durch 13 amerikanische Gefangenlager am 13. April 1946 aus Munsterlager entlassen. Ein Lastwagen brachte ihn nach Bonn, dort gab es 40 Mark Entlassungsgeld. Die Rheinuferbahn fuhr nach seiner Erinnerung nur bis Rodenkirchen (die Strecke bis zur zerstörten Hohenzollernbrücke war im Bau). Zu Fuß ging Artur Dietz von Rodenkirchen bis zur Hohenzollernbrücke, setzte dann mit dem Boot über den Rhein, marschierte weiter von der Messe bis zur Deutzer zer Post. Dort hielt die Linie G, die auf der Strecke der heutigen 3 nach Thielenbruch und weiter nach Bergisch Gladbach fuhr. In Kieppemühle stieg Dietz aus und ging wieder zu Fuß nach Hause - ein Zuhause, in dem es keinen Vater mehr gab, denn der war im Krieg gefallen. Trotzdem fand sich Dietz nicht in dieser äußersten Einsamkeit wieder, wie sie Hanns Schaefer erlebt hat, in dessen alter Schulklasse die Toten in der Überzahl waren: In Bergisch Gladbach hatte Dietz Verwandte. Es gab einen Onkel, der ihn schon auf der Straße sah, aufs Fahrrad stieg und die Nachricht von seiner Heimkehr im ganzen Ort bekannt machte.

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Heinrich Lohmer war schon am 4. März 1945, also mitten im militärischen Zusammenbruch, nach Köln zurückgekommen - zum zweiten Mal. Die erste Rückkehr hatte begonnen, als ihn die Wehrmacht wegen seines "nicht arischen" Großvaters (trotz ihm bescheinigter "sehr guter Führung", wie er betont) als „wehrunwürdig" entließ; damals war ganz Köln noch in deutscher Hand. Der Offizier, der ihm seine Papiere aushändigte, sagte: "Sie müssen sich bei der Gestapo melden. Sie wissen, was das bedeutet: Sie werden bei Schanzarbeiten an der Westfront verheizt. Da hinten ist die Gestapo-Dienststelle. Ich muß Ihnen den Befehl geben, sich dort zu melden. Aber ich schicke niemanden mit Ihnen, finden Sie den richtigen Weg." Lohmer meldete sich nicht bei der Gestapo, sondern ging nach Köln zurück. Dort ließ der Marienburger NS-Ortsgruppenführer Eberhard Kolter zwar nach ihm suchen, aber Lohmers Arbeitgeber, die Mauser-Werke, verlegten ihre Verwaltung nach Neuwied. Er zog mit und fuhr erst im März wieder nach Köln zurück - ausstaffiert mit seinen alten Uniformteilen, Mantel und Stahlhelm. Bei Beuel kontrollierte die SS den Verkehr, um fliehende Soldaten aufzuhalten. Lohmer sagte: "Ich will nicht nach Osten, ich will an die Front nach Wesseling." Die SS beschlagnahmte sogar einen Wagen für ihn, der ihn nach Wesseling brachte; von dort schlug er sich nach Rodenkirchen und weiter zum Elternhaus in Köln-Marienburg durch. Am 6. März rückten die Amerikaner im Kölner Stadtzentrum ein und am 7. in Marienburg.

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Eine der weitesten Reisen hatte der junge Priester Paul Berndorff, der Köln im März 1946 zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder sah. Er hatte die Kriegszeit in Rom überstanden, wohin ihn Kardinal Schulte 1938 zur Promotion geschickt hatte - so war er vom deutschen Militärdienst verschont geblieben. Im Februar 1946 war der neue Erzbischof Joseph Frings nach Rom gekommen, um die Kardinalswürde zu empfangen. Damals stand Paul Berndorff im 33. Lebensjahr; Frings kannte ihn aus dem KY, dem Kartellverband der katholischen deutschen Studentenvereine, und aus der Pfarrarbeit. Als der spätere Erzbischof Pfarrer an St. Joseph in Köln-Braunsfeld gewesen war, hatte Berndorff für kurze Zeit als Kaplan an St. Stephan gearbeitet. In Rom hatte Frings nach Berndorff gesucht: "Ich habe überlegt, Sie kommen nach Köln und werden mein Sekretär." Wie Berndorff nach Köln kommen sollte, hatte Kardinal Frings nicht gesagt. Schließlich vermittelte Monsignore Giovanni Battista Montini, der spätere Papst Paul VI. Berndorff den Auftrag, Kurierpost zur provisorischer Vatikanvertretung in Kronberg im Taunus zu befördern Eine amerikanische Militärmaschine brachte ihn nach Frankfurt. "Ich saß an der Wand im Flugzeugrumpf' erinnert sich Berndorff: "Über den Alpen wurde es lausig kalt." Ein deutscher Kriegsgefangener holte ihn mit dem Jeep am Flughafen ab und fuhr ihn nach Kronberg. "Ich gab ihm mein Butterbrot, der Mann bedankte sich überschwenglich." Das war die erste Begegnung mit dem Hunger in der Heimat. Dann kam die Begegnung mit der Zerstörung: die Fahrt von Kronberg nach Köln-Deutz, wo der Zug endete, weil die Hohenzollernbrücke ja zerstört war; der Fußweg über einen Holzsteg dort, wo heute wieder die Deutzer Brücke steht, und weiter bis zum heutigen Ebertplatz (damals Deutscher Platz). Ein Mann mit einer Gemüsekarre brachte Berndorffs Koffer. Am Deutschen Platz fuhr die Straßenbahn nach Bayenthal, wo Frings residierte - das erzbischöfliche Palais war ja zerstört. Seine Gefühle angesichts der zerbombten Stadt faßt Berndorff mit einem Wort zusammen: "Schlimm". Der Straßenbahnwagen, der ihn nach Bayenthal brachte, hatte keine Fenster mehr.

Peter Schuhmann kehrte schon 1945 aus der Gefangenschaft nach Köln-Nippes zurück. Er kam direkt aus dem amerikanischen Gefangenenlager auf den Remagener Rheinwiesen. Das Vincenzhospital nahm ihn für eine, die erste Nacht auf - es gab die erste richtige Mahlzeit nach den Monaten des Hungerns. "Sie ist mir nicht bekommen", sagt Peter Schuhmann lapidar. Noch viel schlimmer ging es später den "Rußlandheimkehrern " , an die sich Armeliese Bliersbach noch deutlich erinnert: "Von weitem sahen sie sehr gesund aus, sie hatten dicke rote Köpfe, waren aber schwer krank." Die Gesichter der Männer waren durch Hungerödeme so gedunsen. "Die Frauen wollten den Männern etwas Gutes tun, indem sie eine besonders gute und reichhaltige Mahlzeit bereiteten," sagt Armeliese Bliersbach, "Die Ärzte warnten davor. Deshalb bekamen die Männer zunächst nur Haferschleim, weil ihr Körper nicht mehr vertragen hätte. Sie wurden wie Säuglinge aufgepäppelt".

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Erst 1950 kam der Vater von Dieter Kappelmaier aus der Gefangenschaft zurück. Der elfjährige Dieter sah seinen Vater auf der Venloer Straße. Das war reiner Zufall, denn der Vater suchte in der Ehrenfelder Rotehausstraße nach seiner Familie. Dort wohnten aber keine Kappelmeiers mehr, denn sie hatten ihre alte Wohnung nach der Evakuierung nicht mehr wiederbekommen.

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Ein Kölner, der noch später zurückkehrte, war Fritz Burger. Seit 1938 gelähmt, nach drei Schlaganfällen nicht mehr fähig, mehr als die beiden Worte "Ja" und "Nein" zu sagen, hatte er in den Riehler Heimstätten gelebt und war gegen Kriegsende auf das Gelände der Dürener Landesklinik evakuiert worden. Dort hatte ihn sein Sohn Norbert zuletzt im November 1944 gesehen. Nach dem Krieg war der Vater nicht mehr aufzufinden. In Düren hieß es, er sei bei einem Luftangriff auf einen Lazarettzug umgekommen; in Wirklichkeit hatte der Lazarettzug zwar im Bahnhof gestanden und war beschossen worden, aber in den Waggons hatte sich kein Mensch aufgehalten. 1948 ließ Norberts Mutter Elfriede Burger ihren verschollenen Mann für tot erklären; dadurch konnte sie eine Rente als Kriegerwitwe erhalten, und ihr Sohn bekam später als Student ein Stipendium. Er hatte gerade sein Jurastudium aufgenommen, als eine Krankenschwester aus Rudolstadt in Thüringen bei den Burgers in Köln-Ehrenfeld klingelte und sagte, der Vater lebe noch. Fritz Burger war aus Düren in ein Heim nach Rudolstadt gebracht worden; dort war man nicht imstande, seine Angehörigen zu finden, die im Januar 1945 aus Köln ins Oberbergische geflohen waren. Nur diese Krankenschwester wollte sich nicht mit der Erklärung zufrieden geben, daß Frau Burger und die beiden Kinder verschollen seien. Sie dachte an das Bild der Familie, das Fritz Burger besaß und immer wieder ansah, und sie überlegte sich, daß man an seiner alten Adresse vielleicht etwas über die Familie wissen könnte. Die Schwester fuhr auf eigene Faust über die schon fast undurchlässige Zonengrenze nach Köln und fand die Burgers, die wieder in derselben Wohnung in der Subbelrather Straße lebten wie vor 1945. Ein Jahr nach dem Besuch der Schwester, 1954, fuhr Norbert Burger nach Helmstedt und nahm seinen Vater in Empfang. "Er erkannte mich nicht mehr, ich war ja inzwischen 21 Jahre alt, und als er mich zuletzt gesehen hatte, war ich gerade zwölf geworden." Fritz Burger ist 1961 in den Riehler Heimstätten gestorben.

In diesen Jahren war die Vergangenheit schon ziemlich weit in den Hintergrund gerückt. Hanns Schaefer faßt die Stimmung zusammen, die sich danach ausbreitete und viele Menschen bis heute prägt: "Über das, was vor 1945 war, rede ich nicht. Das ist für mich abgeschlossen." In den ersten Tagen nach dem Einrücken der Amerikaner am 8. März 1945 freilich war diese Vergangenheit noch deutlich sichtbar. Sie war noch nicht wirklich vorbei. Sie war nur durch den Rhein von der neuen Gegenwart, dem Frieden, getrennt. Während der Krieg im linksrheinischen Köln beendet war, ging er auf dem rechten Rheinufer noch wochenlang weiter. Peter Wyden arbeitete im März 1945 zwei Tage lang als amerikanischer Presseoffizier in Köln. Sein Büro lag in der Nähe des Rheinufers: "Als ich hinging, wurde von der rechten Rheinseite aus noch auf uns geschossen." So sinnlos, meint Wyden: "Wir waren doch viel zu weit entfernt. Worauf haben die noch geschossen?"

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Köln-Marienburg war von der Ulmenallee abwärts bis zum Rheinufer geräumt. Amerikanische Soldaten saßen zwischen Sandsäcken auf Wohnzimmersesseln, die sie auf die Straße getragen hatten, und hielten Wache. Sie hatten Angst vor Überfällen deutscher „Werwolf“-Kommandos; immerhin war der von den Amerikanern eingesetzte Aachener Oberbürgermeister Oppenhoff von einem solchen Terrorkommando ermordet worden. "Wir hatten ein Radio, einen Volksempfänger, und hörten die Meldungen: feindliche Verbände im Anflug auf Köln", erinnert sich Heinrich Lohmer. "Aber gemeint war nur noch der rechtsrheinische Teil. Von zu Hause aus konnte ich sehen, wie die Maschinen anflogen und über dem rechtsrheinischen Köln Bomben abwarfen. Wir hatten großes Mitgefühl mit den Kölnern jenseits des Rheins." Es gab auch umgekehrt einen Angriff mit Flakgranaten vom rechten Rheinufer aus auf das Gebiet um den Chlodwigplatz. Selbst in Lindenthai schlugen deutsche Granaten ein. Das Hildegardiskrankenhaus erhielt mehrere Treffer, erinnert sich der damalige Krankenhausseelsorger Karl- Heinz Pieper. Der Arzt Wolfgang Michels hörte am 15. März deutsche Geschosse über Köln hinwegdonnern; nach seinen Aufzeichnungen handelte es sich um V-Waffen, also wohl V I-Marschflugkörper. Eine soll in Bayenthal eingeschlagen sein und eine sogar in Nippes. An der Zündorfer Groov lagen Soldaten; Marinesoldaten, meint Heinz Söntgerath. Sie schossen auf das linke Rheinufer, von dort kamen Schüsse zurück. Dann zogen die Soldaten ab.

Dann rückten die Amerikaner auch auf das rechte Rheinufer vor. Eine Eisenbahnbrücke an der Kaiserstraße zwische Porz und Urbach hatten die Deutschen mit vier Fliegerbomben vermint. Angeblich wollten sie die zünden, wenn die Amerikaner über die Brücke gehen würden. "Das habe ich mitbekommen und vereitelt", behauptet Heinz Söntgerath: "Ich bin abends dahingegangen und habe die Zündschnüre kaputtgeschlagen. Als die am anderen Morgen die Bomben zünden wollten, ging es natürlich nicht, die sind dann Hals über Kopf abgehauen und haben sich noch Zivilkleidung besorgt." Angst, sagt Heinz Säntgerrath, habe er bei der ganzen Sache nicht gehabt, "ich war so jung, und es war ja auch keine große Arbeit." Daß er Porz gerettet haben solle, weist er aber in aller Bescheidenheit zurück.

Die Grenze zwischen der alten und der neuen Gegenwart, zwischen Krieg und Nachkriegszeit verlief nun weiter östlich, durchs Siebengebirge. Dort erlebte Lieselotte Dierich, geflüchtet aus Käln-Lindenthal, die letzten Kriegstage. "Wir hatten uns an den Kriegszustand gewähnt, nur daß wir jetzt nicht mehr unter Feindbeschuß lagen, sondern deutsche Nebelwerfer von der Autobahn zu uns heraufschossen. " Einmal explodierte eine deutsche Granate in einem alten Birnbaum im Garten. Die Splitter flogen ins Wohnzimmer, wo sich mehrere amerikanische Soldaten aufhielten. Plötzlich brach einer von ihnen zusammen, ein Splitter hatte ihn in den Bauch getroffen. "Später erfuhren wir, daß er gestorben war. " Erst nach 18 Tagen brach auch hier der deutsche Widerstand zusammen.

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Für Heinrich Lohmer und seine Familie war das Kriegsende wirklich die Befreiung. Aber ihm ist klar, daß dieses Gefühl mit seiner besonderen Lage, mit der politischen und rassistischen Verfolgung im Dritten Reich, zusammenhing: "Wenn morgens jemand klingelte, mußten wir endlich nicht mehr fürchten, das könnte die Gestapo sein." Die nationalsozialistischen Funktionäre wie Gauleiter josef Crohe, der frühere Oberbürgermeister Günter Riesen oder Ortsgruppenführer Kolter waren nicht unter denen, die in Köln geblieben oder sofort nach Köln zurückgekehrt waren. "Sie hatten zwar Durchhalteparolen ausgegeben, aber sich selbst abgesetzt", sagt Lohmer. Geblieben waren nur ein paar einfache Parteigenossen wie der Vater von Frau Hildegard Zerwas-Gfattinger in der Düsseldorfer Straße, also rechtsrheinisch. dort, wo die Amerikaner erst viel später hinkamen. Als sie kamen, redeten die anderen Hausbewohner dem Vater zu, seine Parteiuniform im Keller zu verstecken. Das tat er auch.

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