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EnErgynEws<br />
Newsletter des <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong>s <strong>Energie</strong> Ausgabe 1|2012<br />
Ohne <strong>Energie</strong> läuft nichts –<br />
Tag der Mobilität am <strong>KIT</strong><br />
Stabiles Stromnetz mit<br />
erneuerbaren <strong>Energie</strong>n<br />
Die <strong>Energie</strong>wende<br />
aus Verbrauchersicht<br />
<strong>KIT</strong> – Universität des Landes Baden-Württemberg<br />
und nationales Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft www.kit.edu
2 EnErgynEws 1|2012<br />
Inhalt<br />
3 Editorial<br />
4 Ohne <strong>Energie</strong> läuft nichts – Tag der Mobilität am <strong>KIT</strong><br />
6 KA-RaceIng – Studierende bauen energieeffiziente Rennwagen<br />
8 What-IF – <strong>Energie</strong>versorgung und Gerechtigkeit zwischen den Generationen<br />
9 Einblick gewinnen, Fragen stellen, Vorschläge einbringen:<br />
Bürgerwerkstatt am <strong>KIT</strong><br />
10 Dampf für grüne Kohle<br />
12 <strong>Energie</strong>wende mit Erdwärme<br />
14 Stabiles Stromnetz mit erneuerbaren <strong>Energie</strong>n<br />
16 Supraleitende Komponenten für die <strong>Energie</strong>netze von morgen<br />
18 Weiße Zertifikate für <strong>Energie</strong>effizienz<br />
20 Nukleare Sicherheitsforschung am <strong>KIT</strong> – Nach der Reaktorkatastrophe<br />
in Japan<br />
22 Die <strong>Energie</strong>wende aus Verbrauchersicht<br />
Impressum<br />
Herausgeber: <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong><br />
Redaktion: Dr. Sibylle Orgeldinger<br />
Koordination: Dr. Wolfgang Breh (wolfgang.breh@kit.edu)<br />
Gestaltung, Layout: Wilfrid Schroeder, Bernd Königsamen, Heike Gerstner<br />
Druck: Karl Elser Druck GmbH, Mühlacker<br />
Karlsruher Institut für Technologie (<strong>KIT</strong>)<br />
Universität des Landes Baden-Württemberg und<br />
nationales Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
Campus Nord<br />
Hermann-von-Helmholtz-Platz 1<br />
76344 Eggenstein-Leopoldshafen<br />
Campus Süd<br />
Kaiserstraße 12<br />
76131 Karlsruhe<br />
<strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong>, Geschäftsstelle<br />
Telefon +49 721 608-25540<br />
März 2012<br />
Titelfoto: Ein <strong>KIT</strong>-Wasserstoffbus: Zwischen den <strong>KIT</strong>-Standorten Campus Nord (ehemaliges<br />
Forschungszentrum Karlsruhe), Campus Süd (ehemalige Universität Karlsruhe) und<br />
Campus Ost (ehemalige Mackensen-Kaserne) verkehren zwei Shuttle-Busse mit regenerativ<br />
erzeugtem Wasserstoff. Die umweltfreundlichen Busse fahren dank ihres seriellen<br />
Hybridantriebs mit Brennstoffzellen als Stromlieferant ohne Abgasemissionen.
Dr. Peter Fritz<br />
Professor Dr. Hans-Jörg Bauer<br />
Editorial<br />
Die <strong>Energie</strong>forschung bildet eine wichtige<br />
Grundlage für unsere zukünftige Gesellschaft.<br />
Insbesondere in der jüngeren<br />
Vergangenheit hat es Entwicklungen<br />
gegeben, die zu einem allmählichen<br />
Umdenken auf nationaler wie auch auf<br />
internationaler Ebene führen. Neue<br />
Technologien, knappe Ressourcen,<br />
Klimawandel und Globalisierung sind die<br />
Hauptfaktoren, die auch auf die künftige<br />
Ausrichtung der <strong>Energie</strong>forschung<br />
Einfluss nehmen. Gleichzeitig verschieben<br />
sich die Aufgabenschwerpunkte zunehmend<br />
in Richtung einer überregionalen<br />
Betrachtungsweise. Am Karlsruher Institut<br />
für Technologie wird diesen Entwicklungen<br />
Rechnung getragen, etwa durch<br />
Stärkung der Aktivitäten in den Bereichen<br />
der Speicher/Netze oder der erneuerbaren<br />
<strong>Energie</strong>n. Parallel werden die internationalen<br />
Kooperationen, bilateral oder in<br />
Form von Netzwerken, gezielt verstärkt,<br />
wie beispielsweise in der Knowledge and<br />
Innovation Community (KIC) „InnoEnergy“.<br />
Dabei kommen auch Aspekte zum<br />
Tragen, Entwicklungen nicht nur einseitig<br />
auf Forschung, Lehre oder Innovation<br />
auszurichten, sondern sie vielmehr<br />
kohärent zu organisieren. Ein weiteres<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
wichtiges Element ist die Betrachtung<br />
von <strong>Energie</strong>erzeugung und -nutzung in<br />
Verbindung mit dem Mobilitätssektor, der<br />
ebenfalls in der Phase einer Wandlung<br />
steht, wie etwa bei den Entwicklungen im<br />
Bereich der Elektromobilität.<br />
Die vorliegende Auflage stellt einen<br />
Querschnitt aus aktuellen Arbeiten des<br />
<strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong>s <strong>Energie</strong> dar, in denen zahlreiche<br />
der oben angesprochenen Aspekte<br />
eine wichtige Rolle spielen. Allen Autoren<br />
danken wir an dieser Stelle herzlich für<br />
ihre Beiträge und ihr Engagement.<br />
Wir wünschen Ihnen eine spannende<br />
Lektüre!<br />
Dr. Peter Fritz,<br />
Vizepräsident für Forschung<br />
und Innovation des <strong>KIT</strong><br />
Professor Dr. Hans-Jörg Bauer,<br />
Wissenschaftlicher Sprecher des<br />
<strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong>s <strong>Energie</strong><br />
3
4 EnErgynEws 1|2012<br />
Ohne <strong>Energie</strong> läuft nichts – Tag der Mobilität am <strong>KIT</strong><br />
„Die Zukunft der Mobilität“ lautete das Motto des Tags der offenen Tür<br />
2011 am <strong>KIT</strong>. Und weil Mobilität ohne <strong>Energie</strong> undenkbar ist, durfte das<br />
<strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong> nicht fehlen. Dabei gab es <strong>Energie</strong>forschung zum<br />
Ansehen, Anfassen und Nachfragen.<br />
Mehr als 25 000 Besucherinnen und Besucher<br />
kamen am Samstag, 2. Juli 2011,<br />
auf das Gelände des neuen <strong>KIT</strong> Campus<br />
Ost, um „die Zukunft der Mobilität“<br />
hautnah zu erleben. Dort warteten fast<br />
80 Akteure – Forscherinnen und Forscher,<br />
Infrastruktureinrichtungen des <strong>KIT</strong>,<br />
Partnerinstitutionen und Sponsoren – mit<br />
Ausstellungen, Vorführungen und Angeboten<br />
zum Mitmachen auf.<br />
Zentren, Institute und Sonderforschungsbereiche<br />
präsentierten Exponate rund<br />
um die Themen Materialien, <strong>Energie</strong>quellen<br />
und <strong>Energie</strong>speicher, Antriebs- und<br />
Fahrwerksysteme, Entwicklungsverfahren<br />
und Produktionstechnik, Fahrzeugkonzepte,<br />
Infrastrukturen, Fahrzeug- und<br />
Verkehrsführung, Logistik und mobile<br />
Gesellschaft. Dabei waren Erkenntnisse<br />
der Grundlagenforschung ebenso vertreten<br />
wie Ergebnisse der angewandten<br />
Forschung und konkrete Produkte. Mehr<br />
als 40 innovative Fahrzeuge waren zu<br />
besichtigen, darunter Elektroautos und<br />
Fahrzeuge mit Hybridantrieb; elf Fahrzeuge<br />
waren bei Vorführungen zu erleben.<br />
17 Vorträge beleuchteten das Thema<br />
Mobilität aus verschiedenen Perspektiven<br />
– verständlich und anschaulich.<br />
Daneben gab es ein abwechslungsreiches<br />
Das <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong> präsentierte sich in einem eigenen Zelt auf dem Gelände des neuen <strong>KIT</strong> Campus Ost.<br />
Bühnenprogramm und Aktivitäten für<br />
Kinder. Der Tag der offenen Tür 2011<br />
des <strong>KIT</strong> war Programmbaustein des<br />
Automobilsommers des Landes Baden-<br />
Württemberg; das Konzept wurde vom<br />
baden-württembergischen Wirtschaftsministerium<br />
ausgezeichnet und gehörte<br />
zu den Gewinnern des Ideenwettbewerbs<br />
für den Automobilsommer.<br />
Jede Form der Mobilität benötigt <strong>Energie</strong>.<br />
Dieses Thema war am Tag der Mobilität<br />
durchweg präsent. In einem eigenen Zelt<br />
präsentierte das <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong><br />
seine Aktivitäten und stellte aktuelle Projekte<br />
vor; Wissenschaftler beantworteten<br />
Fragen der Besucher. Mit seinen rund<br />
1 100 Mitarbeitern bildet das <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong><br />
<strong>Energie</strong> eines der größten <strong>Energie</strong>forschungszentren<br />
in Europa. Technik- und<br />
naturwissenschaftliche, wirtschafts-,<br />
geistes- und sozialwissenschaftliche sowie<br />
rechtswissenschaftliche Kompetenzen
Besucherinnen und Besucher aller Altersgruppen informierten sich über aktuelle Projekte<br />
der Mobilitäts- und <strong>Energie</strong>forschung.<br />
Auf lebhaftes Interesse traf das bioliq ® -Konzept, das es ermöglicht, aus Restbiomasse<br />
hochwertige Designerkraftstoffe herzustellen.<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
bündeln sich im <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong>,<br />
um den <strong>Energie</strong>kreislauf ganzheitlich zu<br />
betrachten: Die Arbeit des <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong>s<br />
<strong>Energie</strong> gliedert sich in die sieben Topics<br />
<strong>Energie</strong>umwandlung, Erneuerbare <strong>Energie</strong>n,<br />
<strong>Energie</strong>speicherung und -verteilung,<br />
Effiziente <strong>Energie</strong>nutzung, Fusionstechnologie,<br />
Kernenergie und Sicherheit sowie<br />
<strong>Energie</strong>systemanalyse.<br />
Beim „Tag der Mobilität“ stellte das<br />
<strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong> unter anderem das<br />
bioliq ® -Konzept vor: Aus biogenen Reststoffen,<br />
beispielsweise Stroh, entstehen in<br />
einem mehrstufigen Prozess hochwertige<br />
Kraftstoffe für Diesel- und Ottomotoren.<br />
Die Ausgangsstoffe eignen sich weder als<br />
Nahrungs- oder Futtermittel, noch beanspruchen<br />
sie zusätzliche Anbauflächen –<br />
Nutzungskonkurrenz ist damit ausgeschlossen.<br />
Ein weiterer Vorteil des bioliq ® -<br />
Konzepts ist, dass der erste Schritt, die<br />
Schnellpyrolyse, sich in dezentralen Anlagen<br />
ausführen lässt. So entsteht aus der<br />
Restbiomasse, die räumlich weit verteilt<br />
anfällt und einen niedrigen <strong>Energie</strong>gehalt<br />
hat, ein energiereiches Zwischenprodukt,<br />
das sich wirtschaftlich über große<br />
Strecken transportieren und in zentralen<br />
Anlagen weiterverarbeiten lässt.<br />
weitere Infos:<br />
Dr. Wolfgang Breh<br />
<strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong><br />
Geschäftsführer<br />
Telefon +49 721 608-25540<br />
E-Mail wolfgang.breh@kit.edu<br />
Wolfgang Breh<br />
5
6 EnErgynEws 1|2012<br />
KA-raceIng – studierende bauen energieeffiziente rennwagen<br />
Das Thema <strong>Energie</strong> bewegt auch Studierende des <strong>KIT</strong>. So baut das Team<br />
KA-RaceIng selbstständig Rennwagen und startet damit bei internationalen<br />
Wettbewerben. Bei der „Formula Electric & Hybrid Italy“, erreichte<br />
KA-RaceIng den ersten Platz in der Klasse Elektrofahrzeuge.<br />
Schnell sein ist nicht genug: Bei den „Formula<br />
Student“-Wettbewerben siegen die<br />
Fahrzeuge mit dem besten Gesamtpaket<br />
aus Konstruktion, Performance, Finanzplanung<br />
und Verkaufsargumenten. <strong>Energie</strong>effizienz<br />
ist ein wichtiges Kriterium.<br />
Für den „<strong>KIT</strong>11e“ war das Abschneiden<br />
in der Disziplin „Energy Efficiency“ denn<br />
auch mit entscheidend für den Gesamtsieg.<br />
Bei der „Formula Electric & Hybrid<br />
Italy“ im Herbst 2011 in Turin erwies sich<br />
der Formelwagen aus Karlsruhe als der<br />
energieeffizienteste und belegte Platz eins<br />
in der Klasse Elektrofahrzeuge.<br />
Entwickelt, gebaut und gefahren wurde<br />
der „<strong>KIT</strong>11e“ von KA-RaceIng, einem<br />
2006 gegründeten Team von Studierenden<br />
des <strong>KIT</strong>: Jedes Jahr entwickeln, bauen<br />
und fahren rund 60 Studierende verschiedener<br />
Fachrichtungen – von Maschi-<br />
nenbau über Elektrotechnik bis hin zum<br />
Wirtschaftsingenieurwesen – selbstständig<br />
je ein Fahrzeug für die internationalen<br />
Wettbewerbe „Formula Student Combustion“<br />
für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor<br />
und „Formula Student Electric“ für<br />
Fahrzeuge mit Elektroantrieb.<br />
„Engineered Excitement“ ist das Motto<br />
des Teams. KA-RaceIng umfasst mehrere<br />
Unterteams, die sich jeweils bestimmten<br />
Aufgaben widmen: Die technischen<br />
Teams Antriebsstrang, Monocoque, Elektronik,<br />
Elektrischer Antrieb, Fahrwerk und<br />
Motor konstruieren und bauen die Rennwagen;<br />
weitere Teams sind für Finanzen<br />
und Projektmanagement verantwortlich;<br />
das Team Marketing kümmert sich um<br />
Öffentlichkeitsarbeit, Eventplanung sowie<br />
Akquise und Betreuung von Sponsoren.<br />
Als universitäres Team kann KA-RacIng<br />
Das Elektroauto „<strong>KIT</strong>11e“ auf der<br />
Rennstrecke in Turin.<br />
auf gute Kontakte zu den Instituten des<br />
<strong>KIT</strong> zurückgreifen.<br />
2011 erlebte KA-RaceIng seine bisher<br />
erfolgreichste Saison: Der Verbrenner<br />
„<strong>KIT</strong>11“ fuhr bei der „Formula Student<br />
Austria“ auf den fünften Platz, bei der<br />
„Formula Student Germany“ auf den<br />
neunten Platz. Bei der „Formula Student<br />
Italy“ und der „Formula Student Hungary“<br />
erreichte „<strong>KIT</strong>11“ sogar jeweils den<br />
zweiten Platz. Das Elektroauto „<strong>KIT</strong>11e“<br />
kam bei „Formula Student Electric“ in<br />
Hockenheim auf den fünften Platz und<br />
holte mit dem ersten Platz bei der „Formula<br />
Electric & Hybrid Italy“ zum ersten<br />
Mal in der Geschichte von KA-RaceIng<br />
einen Gesamtsieg nach Karlsruhe. Auf<br />
den zweiten Platz kam das Team der<br />
Universität Stuttgart, der dritte Platz ging<br />
an das Team der TU München. Insgesamt<br />
nahmen acht Teams aus Deutschland und<br />
Ungarn in der Klasse Elektrofahrzeuge<br />
des Wettbewerbs auf dem IVECO Testgelände<br />
in Turin teil.<br />
Der Wettbewerb umfasste acht Disziplinen:<br />
die statischen Disziplinen Technik,<br />
Kosten und Präsentation sowie die dyna-
mischen Disziplinen Gesamtperformance,<br />
Agilität und Handling, <strong>Energie</strong>effizienz,<br />
Beschleunigung und Kurvenfahren. In der<br />
wichtigsten statischen Disziplin „Design-<br />
Event“, in der es um die technischen<br />
Bereiche ging, belegte KA-RaceIng mit<br />
dem „<strong>KIT</strong>11e“ den ersten Platz. In den<br />
Disziplinen „Cost Event“ und „Business<br />
Plan Presentation“ erreichten die Karls-<br />
ruher jeweils Platz zwei. Der „<strong>KIT</strong>11e“<br />
überzeugte aber auch auf der Rennstrecke:<br />
Beim „Autocross“ sicherte er sich mit<br />
der schnellsten Zeit nicht nur den ersten<br />
Platz, sondern auch die beste Startposition<br />
in der Disziplin „Endurance“ über 22<br />
Kilometer, in der er dann auf Platz drei<br />
fuhr. In der Disziplin „Acceleration“ war<br />
der „<strong>KIT</strong>11e“ zweitschnellstes Fahrzeug;<br />
Die Wettbewerbsfahrzeuge von KA-RaceIng: der Verbrenner „<strong>KIT</strong>11“ und das<br />
Elektroauto „<strong>KIT</strong>11e“.<br />
Die „Formula Electric & Hybrid Italy“ fand auf dem IVECO Testgelände in Turin statt.<br />
weitere Infos:<br />
www.ka-raceing.de<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
beim „Skid Pad“ erreichte er Platz drei<br />
und in der Disziplin „Efficiency“ Platz<br />
eins.<br />
Derzeit bereitet KA-RacIng sich auf den<br />
ersten Wettbewerb des Jahres 2012 vor:<br />
Im Mai wird das Team beim „Formula<br />
SAE Michigan“ auf dem Michigan International<br />
Speedway in den USA starten.<br />
Dieser ist der größte „Formula Student“<br />
Wettbewerb und zugleich der älteste – er<br />
findet seit über 30 Jahren statt. Das Karlsruher<br />
Team hat dafür seinen bewährten<br />
Rennwagen „<strong>KIT</strong>11“ im Detail geprüft,<br />
komplett zerlegt und wieder zusammengebaut.<br />
Ergebnis: Der Motor ist in einem<br />
Top-Zustand – beste Aussichten für die<br />
neue Saison.<br />
Sibylle Orgeldinger<br />
7
8 EnErgynEws 1|2012<br />
„was geschieht, wenn …?“ – <strong>Energie</strong>versorgung und<br />
gerechtigkeit zwischen den generationen<br />
Mit „Energy and its Role in an Intergenerational<br />
Fair Society“ befassten sich<br />
rund 40 Experten aus ganz Europa am<br />
14. Februar 2012 bei der „What-IF“-<br />
Konferenz am <strong>KIT</strong>. „What-IF“, eine junge<br />
internationale Non-Profit-Organisation,<br />
betrachtet wesentliche gesellschaftliche<br />
Herausforderungen unter intergenerationellem<br />
Aspekt. Sie stellt die Frage<br />
„Was geschieht, wenn … wir weitermachen<br />
wie bisher, Ressourcen ausbeuten,<br />
Schulden anhäufen?“, und gibt eine<br />
Antwort: „IF“ steht für „Intergenerational<br />
Fairness“. Das <strong>KIT</strong>, mit dem <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong><br />
<strong>Energie</strong> eine der größten <strong>Energie</strong>forschungseinrichtungen<br />
in Europa, erwies<br />
sich als idealer Gastgeber für die Konferenz<br />
zum Thema <strong>Energie</strong>. Mitveranstalter<br />
war das europäische <strong>Energie</strong>konsortium<br />
KIC InnoEnergy.<br />
<strong>KIT</strong>-Präsident Professor Eberhard Umbach<br />
nannte wesentliche Aufgaben, vor denen<br />
Forschung und Entwicklung für ein nachhaltiges<br />
<strong>Energie</strong>system stehen: kostengünstigere<br />
und damit wettbewerbsfähige<br />
Technologien für erneuerbare <strong>Energie</strong>n;<br />
effiziente und flexible Lösungen zur<br />
Speicherung und Verteilung; Integration<br />
in intelligente Netze. Gefragt seien<br />
die Kompetenzen von Ingenieur- und<br />
Naturwissenschaftlern, Informatikern,<br />
aber auch Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern.<br />
Als Leiter der Konferenz<br />
fungierte der Wissenschaftliche Sprecher<br />
des <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong>s <strong>Energie</strong>, Professor<br />
Hans-Jörg Bauer. Die Eröffnungsrede hielt<br />
Ministerialdirigent Martin Eggstein vom<br />
baden-württembergischen Ministerium<br />
für Umwelt, Klima und <strong>Energie</strong>wirtschaft.<br />
MEP Professorin Maria da Graça<br />
Carvalho sagte in einer Videobotschaft<br />
aus dem Europäischen Parlament, die<br />
EU müsse die Ausgaben für Forschung<br />
und Entwicklung steigern, besonders im<br />
<strong>Energie</strong>bereich.<br />
What-IF-Präsident Professor Matteo<br />
Bonifacio erörterte in seiner Rede (vertretungsweise<br />
vorgetragen von What-IF-<br />
Mitbegründerin Milena Stoycheva) die<br />
Herausforderungen der Zukunft vor dem<br />
Hintergrund steigender Lebenserwartung<br />
und zunehmender Verstädterung aus der<br />
Perspektive intergenerationeller Fair-<br />
Weitergabe der „What-IF“-Fackel: What-IF-Mitbegründerin Milena Stoycheva, der<br />
Wissenschaftliche Sprecher des <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong>s <strong>Energie</strong>, Professor Hans-Jörg Bauer, und<br />
<strong>KIT</strong>-Präsident Professor Eberhard Umbach (von links). Das Dokument symbolisiert die<br />
internationale Dimension von What-IF und das Engagement der Veranstalter.<br />
ness. Das Spannungsverhältnis zwischen<br />
Generationengerechtigkeit und globaler<br />
Gerechtigkeit sprach TOTAL-Forschungschef<br />
Jean-François Minster an: Über<br />
Gerechtigkeit zwischen den Generationen<br />
zu sprechen, bedeute auch, an die gegenwärtig<br />
Ärmsten in der Welt zu denken.<br />
Unternehmerisches Lernen im Austausch<br />
zwischen den Generationen behandelte<br />
Professorin Lesley Hetherington von der<br />
University of Aberdeen.<br />
Welche Optionen stehen für die <strong>Energie</strong>versorgung<br />
im 21. Jahrhundert offen?<br />
Um diese und weitere Fragen ging<br />
es bei einer Podiumsdiskussion unter<br />
Leitung von Dr. Karl-Friedrich Ziegahn,<br />
Chief Science Officer (CSO-5) des <strong>KIT</strong><br />
und Vorsitzender des Aufsichtsrats von<br />
KIC InnoEnergy. Der <strong>KIT</strong>-Vizepräsident<br />
für Forschung und Entwicklung, Dr.<br />
Peter Fritz, plädierte dafür, in Forschung<br />
und Entwicklung alle <strong>Energie</strong>träger zu<br />
betrachten, die komplette Kette der Nutzung<br />
einzubeziehen und den gesamten<br />
Aufwand an Ressourcen zu berücksichtigen.<br />
Die Notwendigkeit einer integrierten<br />
Forschung, die den <strong>Energie</strong>nutzer<br />
einbezieht, betonte der Leiter des Instituts<br />
für Technikfolgenabschätzung und<br />
Systemanalyse (ITAS) des <strong>KIT</strong>, Professor<br />
Armin Grunwald. Jean-Claude Perraudin<br />
von der französischen <strong>Energie</strong>behörde<br />
CEA erläuterte die französische Position<br />
zu Kernenergie und nuklearer Entsorgung.<br />
Die damit verbundenen Aufgaben<br />
erstreckten sich über viele Generationen.<br />
Was die Bedeutung von Generationengerechtigkeit<br />
in verschiedenen Kulturen<br />
betrifft, wies die Direktorin des ZAK | <strong>Zentrum</strong><br />
für Angewandte Kulturwissenschaft<br />
und Studium Generale des <strong>KIT</strong>, Professorin<br />
Caroline Robertson-von Trotha, auf<br />
den gegenwärtigen raschen Wandel von<br />
Institutionen hin, der ein Nebeneinander<br />
verschiedener Strukturen bedinge. What-<br />
IF-Mitbegründerin Milena Stoycheva<br />
plädierte für eine längerfristige Sichtweise<br />
in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.<br />
Die Konferenz am <strong>KIT</strong> zeigte, dass es<br />
innovativer Lösungen bedarf, die heute<br />
tragfähig und morgen ausbaufähig sind.<br />
Das <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong> und das europäische<br />
Konsortium KIC InnoEnergy erarbeiten<br />
solche Lösungen für das gegenwärtige<br />
und zukünftige <strong>Energie</strong>system.<br />
weitere Infos:<br />
Dr. Wolfgang Breh<br />
<strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong><br />
Geschäftsführer<br />
Telefon +49 721 608-25540<br />
E-Mail wolfgang.breh@kit.edu<br />
Sibylle Orgeldinger
EnErgynEws 1|2012<br />
Einblick gewinnen, Fragen stellen, Vorschläge einbringen:<br />
Bürgerwerkstatt am <strong>KIT</strong><br />
Die Bundesregierung hat den Ausstieg<br />
aus der Kernenergie und die verstärkte<br />
Nutzung erneuerbarer <strong>Energie</strong>n beschlossen.<br />
Daraus ergeben sich viele Fragen, die<br />
jeden Einzelnen betreffen: Wie verwirklichen<br />
wir den Umbau des <strong>Energie</strong>systems?<br />
Welche Veränderungen kommen<br />
auf uns zu? Welche Einschränkungen<br />
sind wir bereit mitzutragen, damit der<br />
Umbau gelingt? Welche Voraussetzungen<br />
müssen erfüllt sein, damit die erforderlichen<br />
Technologien auch von den vor Ort<br />
Betroffenen unterstützt werden? Welchen<br />
Themen soll sich die <strong>Energie</strong>forschung<br />
heute und morgen verstärkt widmen?<br />
Um „<strong>Energie</strong>technologien für die Zukunft“<br />
ging es bei einer Bürgerwerkstatt,<br />
die das <strong>KIT</strong> Ende Juli 2011 zusammen mit<br />
dem Bundesministerium für Bildung und<br />
Forschung (BMBF) in Karlsruhe ausrichtete.<br />
Interessierte Bürgerinnen und Bürger<br />
diskutierten mit Experten des <strong>KIT</strong> und<br />
anderer Einrichtungen über Themen rund<br />
um die <strong>Energie</strong>versorgung der Zukunft.<br />
Die Themen reichten von erneuerbaren<br />
<strong>Energie</strong>n bis zu neuen Möglichkeiten<br />
der <strong>Energie</strong>speicherung, vom Konzept<br />
variabler Stromtarife über den Ausbau<br />
der Wasserkraft am Rhein bis hin zu der<br />
Frage, wie sich energetische Sanierungen<br />
und Denkmalschutz miteinander vereinbaren<br />
lassen.<br />
Dr. Dirk Vogeley, Geschäftsführer der Karlsruher <strong>Energie</strong>- und<br />
Klimaschutzagentur (KEK).<br />
Die Bürgerwerkstatt begann mit der Begrüßung<br />
durch den Chief Science Officer<br />
5 des <strong>KIT</strong> und Leiter der Umwelt- und<br />
<strong>Energie</strong>programme, Dr. Karl-Friedrich Ziegahn,<br />
und drei Impulsreferaten von den<br />
Experten Dr. Ziegahn, Dr. Dirk Vogeley,<br />
Geschäftsführer der Karlsruher <strong>Energie</strong>-<br />
und Klimaschutzagentur (KEK), und<br />
Nico Storz, Geschäftsführer des fesa e.V.<br />
Daran schlossen sich eine Diskussion und<br />
die Arbeit in Gruppen an. Jeder Gruppe<br />
stand ein Experte als Gesprächspartner<br />
zur Verfügung. Bürgerinnen und Bürger<br />
hatten Gelegenheit, ihre Fragen zu<br />
stellen, ihre Erwartungen und Bedenken<br />
vorzubringen. Zum Abschluss formulierten<br />
die Teilnehmer eigene Empfehlungen<br />
zum Umbau der <strong>Energie</strong>versorgung und<br />
zur Vermeidung von Zielkonflikten.<br />
Ihr Vorschläge fließen ein in den vom<br />
BMBF initiierten Bürgerdialog „<strong>Energie</strong>technologien<br />
für die Zukunft“. Unter<br />
dem Motto „Einblick gewinnen. Mitreden“<br />
hat das BMBF ein Forum für den<br />
offenen, transparenten Austausch der<br />
Bürgerschaft mit Wissenschaft, Wirtschaft<br />
und Politik geschaffen. Der Bürgerdialog<br />
knüpft an die Empfehlungen der Ethikkommission<br />
„Sichere <strong>Energie</strong>versorgung“<br />
und den politischen Entscheidungsprozess<br />
der Bundesregierung an. Er ist auf<br />
insgesamt vier Jahre angelegt und wird<br />
im Internet sowie in regionalen Veranstaltungen<br />
überall in Deutschland geführt.<br />
Abschließend werden die Ergebnisse in<br />
einem Bürgerreport festgehalten, der an<br />
Verantwortliche aus Politik, Wissenschaft,<br />
Wirtschaft und Gesellschaft übergeben<br />
wird. Das <strong>KIT</strong> und das <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong><br />
<strong>Energie</strong> unterstützen das Anliegen des<br />
BMBF und bieten immer wieder Plattformen<br />
– Diskussionen, Ausstellungen,<br />
Tage der offenen Tür – an, die Einblicke<br />
in die Arbeit von Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern vermitteln und<br />
den wechselseitigen Austausch zwischen<br />
Forschung und Gesellschaft fördern.<br />
weitere Infos:<br />
Dr. Wolfgang Breh<br />
<strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong><br />
Geschäftsführer<br />
Telefon +49 721 608-25540<br />
E-Mail wolfgang.breh@kit.edu<br />
Dr. Karl-Friedrich Ziegahn, Chief Science Officer 5 des <strong>KIT</strong>.<br />
Wolfgang Breh<br />
9
10 EnErgynEws 1|2012<br />
Dampf für grüne Kohle<br />
Aus Stroh, Holzresten oder Obstschalen wird in kurzer Zeit ein braunkohleähnliches<br />
Produkt – möglich macht es das am <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong><br />
entwickelte „Biomass Steam Processing“ (BSP). In einer Pilotanlage optimieren<br />
Forscher am Engler-Bunte-Institut, Bereich Verbrennungstechnik,<br />
die Dampfkonditionierung von Biomasse.<br />
Angesichts der knapper werdenden<br />
fossilen Ressourcen und des fortschreitenden<br />
Klimawandels steigt das Interesse an<br />
<strong>Energie</strong>trägern aus Biomasse. Der Einsatz<br />
von kohlehydratbasierten biogenen Reststoffen,<br />
wie Stroh, Holzreste, Grasschnitt,<br />
Obstschalen oder Klärschlamm, vermeidet<br />
die Konkurrenz zur Nahrungsmittelherstellung.<br />
Biomasse weist häufig einen<br />
hohen Feuchtegehalt sowie einen hohen<br />
Anteil an chemisch gebundenem Wasser<br />
auf. Daraus resultiert ein niedriger massebezogener<br />
<strong>Energie</strong>gehalt.<br />
Um die <strong>Energie</strong>dichte von Biomasse zu<br />
erhöhen, sind verschiedene Verfahren<br />
verfügbar. Abhängig von Parametern wie<br />
Temperatur, Druck, Verweil- oder Reaktionszeit<br />
und Biomasseanteil lassen sich<br />
dabei feste, flüssige oder gasförmige kohlenstoffhaltige<br />
Stoffe gewinnen. Generell<br />
gilt: Mit steigender Schärfe der Reaktionsbedingungen,<br />
vor allem Temperatur<br />
und Reaktionszeit, nimmt die Tendenz zur<br />
Gasbildung zu, und es entstehen kleinere<br />
organische Moleküle.<br />
Kohlenstoff stellt einen vielfältig einsetzbaren<br />
effektiven <strong>Energie</strong>speicher<br />
dar. Verfahren zur Konditionierung von<br />
Biomasse, die auf Kohlenstoff als Feststoff<br />
abzielen, treffen auf wachsendes Interesse.<br />
Bei der sogenannten Karbonisierung<br />
wird der Kohlenstoffanteil der Einsatzbiomasse<br />
durch thermische Behandlung<br />
in Inertgasatmosphäre (Pyrolyse) oder<br />
mit Hilfsstoffen wie heißem, flüssigem<br />
Druckwasser (hydrothermale Karbonisierung;<br />
Hydrothermal Carbonisation – HTC)<br />
gewonnen.<br />
Sowohl Pyrolyse als auch HTC erfordern<br />
lange Reaktionszeiten, um hohe Kohlenstoffanteile<br />
zu erreichen. So wird bei der<br />
Pyrolyse die Biomasse für viele Stunden<br />
bis Tage auf rund 450 °C gehalten.<br />
Bei der HTC sind mit etwa acht bis 24<br />
Stunden bei 180 bis 240 °C die Reaktionszeiten<br />
etwas kürzer und die Temperaturen<br />
niedriger; der verfahrenstechnische<br />
Aufwand ist allerdings durch das flüssige,<br />
heterogene Reaktionsmedium und den<br />
anzuwendenden Druck erheblich höher.<br />
Zudem wirkt das Reaktionsmedium durch<br />
Chlorsalze der Biomasse und organische<br />
Säuren, die im Prozess gebildet werden,<br />
äußerst korrosiv, was hohe Anforderungen<br />
an das Material der Reaktoren stellt.<br />
Vorteilhaft bei der HTC ist die Möglichkeit,<br />
feuchte Biomasse einzusetzen. Dabei<br />
lassen sich äußerst variable Strukturen<br />
erreichen (vergleiche EnergyNews 1/2011,<br />
S. 12–13).<br />
Um die verfahrenstechnischen Nachteile<br />
der HTC und der Pyrolyse zu umgehen,<br />
untersucht eine Gruppe von Forschern<br />
am Engler-Bunte-Institut, Bereich Verbrennungstechnik,<br />
des <strong>KIT</strong> im Projekt „Green<br />
Coal“ eine alternative Methode – die<br />
atmosphärische Dampfkonditionierung.<br />
Beim „Biomass Steam Processing“ (BSP)<br />
wird der Einsatzstoff unter Atmosphärendruck<br />
mit Wasserdampf bei Temperaturen<br />
zwischen 250 °C und 400 °C für Minuten<br />
bis wenige Stunden behandelt. Dabei<br />
entsteht mit wesentlich geringerem verfahrenstechnischen<br />
Aufwand als bei der<br />
HTC und bei viel kürzeren Reaktionszeiten<br />
als bei der Pyrolyse braunkohleähnliche<br />
Biokohle. Auch sind die BSP-Reaktionsbedingungen<br />
besser beherrschbar, und die<br />
Biokohlen-Elementarzusammensetzung<br />
ist variabel. Die Projektgruppe erforscht<br />
das BSP mit Modellbiomassen und realen<br />
Biomassen wie Stroh, Holz, Gras und<br />
Orangenschalen theoretisch und experimentell.<br />
Als Messtechniken setzen die<br />
Wissenschaftler unter anderem mehrere<br />
Laborreaktoren vom Gramm- bis zum<br />
Kilogramm-Maßstab ein. Mechanistische<br />
Erkenntnisse gewinnen sie beispielsweise<br />
anhand von Thermogravimetrie, Spektroskopie,<br />
Gasanalyse, Flüssigkeitsanalyse,<br />
Elementaranalyse, Heizwertbestimmung<br />
und Elektronenmikroskopie.<br />
Der Heizwert von unbehandeltem Stroh<br />
oder Holz liegt bei circa 12 bzw. 18 MJ/<br />
kg; typische Heizwerte von Braunkohlen<br />
liegen bei circa 28 bis 30 MJ/kg. Die <strong>KIT</strong>-<br />
Forscher gewinnen durch BSP bei rund<br />
350 °C und einer Reaktionszeit von nur<br />
75 Minuten braunkohleähnliche Biokohlen,<br />
wobei typischerweise 40 bis 60<br />
Prozent des Kohlenstoffs im Festkörper zu<br />
finden sind. Zwar weisen diese Biokohlen<br />
mit 21 bis 26 MJ/kg etwas niedrigere<br />
Heizwerte als typische HTC-Produkte (25<br />
bis 28 MJ/kg) auf. Dafür aber sind die<br />
Verfahrensparameter bedeutend günstiger.<br />
Auch lassen sich gewisse Strukturparameter<br />
und Reaktionsmechanismen<br />
besser einstellen.<br />
Ein wichtiger Aspekt ist die <strong>Energie</strong>bilanz,<br />
die das Aufheizen sowie das Verdamp-<br />
Licht- und elektronenmikroskopische Aufnahmen von unbehandeltem Stroh (jeweils links) und dem BSP-Produkt bei 325 °C für<br />
1,9 Stunden (jeweils rechts).
A<br />
C<br />
Fließschema der BSP Pilotanlage:<br />
Die gestrichelten Linien rahmen beheizte Zonen ein.<br />
fen oder Abkühlen der Biomasse, der<br />
anhaftenden Feuchte, der Asche und der<br />
gasförmigen und fl üssigen Reaktionsprodukte<br />
umfasst. Bei einem typischen<br />
BSP-Experiment mit Holzpellets bei einer<br />
Einsatzmasse von 100 g, einer Reaktionszeit<br />
von 1,9 Stunden und einer Temperatur<br />
von 300 °C fi nden sich beispielsweise<br />
etwa 69 Prozent der eingesetzten<br />
chemischen <strong>Energie</strong> in der Biokohle. Ein<br />
weiterer Teil fi ndet sich in der kondensierten<br />
Phase. Zusätzlich sind etwa drei<br />
Prozent der eingebrachten chemischen<br />
<strong>Energie</strong> zum Aufheizen von Biomasse und<br />
Feuchtigkeit auf Reaktionstemperatur<br />
aufzubringen, wobei die Bereitstellung<br />
des frischen Dampfes ausgeklammert ist.<br />
Das aus den Kohlehydraten eliminierte<br />
Wasser und kleinere organische Fragmente,<br />
beispielsweise Hydroxymethylfurfural,<br />
<strong>Energie</strong>bilanz des BSP für 100 g Holzpellets bei 300 °C und einer Verweilzeit von 1,9<br />
Stunden, angegebene <strong>Energie</strong>mengen in kJ. (Die Daten der fl üssigen Produkte sind<br />
durch Hydroxymethylfurfural angenähert.)<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
wirken sich dagegen dank ihrer sensiblen<br />
Wärme und der Kondensationswärme<br />
positiv auf die <strong>Energie</strong>bilanz aus.<br />
Die <strong>KIT</strong>-Forscher untersuchen die technische<br />
Umsetzung von BSP in einer Pilotanlage<br />
mit einem Umsatz von rund 20 kg<br />
Biomasse pro Stunde. Derzeit arbeiten sie<br />
daran, den Durchsatz zu erhöhen und die<br />
Ausbeute durch Rückführung des bei höherer<br />
Temperatur kondensierenden Bioöls<br />
und der kohlenstoffhaltigen Dampfphase<br />
weiter zu steigern. Die Methode lässt<br />
sich dank ihrer Einfachheit problemlos in<br />
mobilen Anlagen einsetzen, sodass Bioabfälle<br />
unmittelbar dort, wo sie anfallen,<br />
kostengünstig und energetisch sinnvoll<br />
zu Kohle verarbeitet werden können. Das<br />
Verfahren ist zum Patent angemeldet.<br />
Gefördert wird das Projekt mit Mitteln der<br />
EnBW <strong>Energie</strong> Baden-Württemberg AG.<br />
Dirk Reichert<br />
Henning Bockhorn<br />
weitere Infos:<br />
Professor Dr. Henning Bockhorn<br />
Engler-Bunte-Institut<br />
Bereich Verbrennungstechnik (EBI-VBT)<br />
Telefon +49 721 608-42571<br />
E-Mail henning.bockhorn@kit.edu<br />
11
12 EnErgynEws 1|2012<br />
<strong>Energie</strong>wende mit Erdwärme<br />
Die Geothermie besitzt großes Potenzial für eine nachhaltige <strong>Energie</strong>versorgung.<br />
Am <strong>KIT</strong> bündeln sich Kompetenzen, welche die komplette<br />
Prozesskette einer sicheren, generationengerechten und umweltverträglichen<br />
Nutzung der Erdwärme abdecken.<br />
Um die <strong>Energie</strong>wende zu verwirklichen,<br />
gilt es, sämtliche Potenziale zu nutzen.<br />
Die Geothermie kann bei der nachhaltigen<br />
Versorgung mit Strom und Wärme<br />
eine zentrale Rolle spielen: Sie ist grundlastfähig,<br />
das heißt, es bedarf keiner<br />
Ersatzkraftwerke und keiner großen<br />
Stromspeicher, um Zeiten ohne genügend<br />
Sonne und Wind auszugleichen.<br />
Geothermie ist vor Ort verfügbar; ihre<br />
Nutzung benötigt nur wenig Platz an der<br />
Oberfläche, sodass eine Nutzungskonkurrenz<br />
weitgehend ausgeschlossen ist.<br />
Die Erschließung der heimischen <strong>Energie</strong>quelle<br />
Geothermie macht von Importen<br />
unabhängig, spart fossile Ressourcen ein<br />
und vermeidet Treibhausgasemissionen.<br />
Bereits heute ist die oberflächennahe<br />
Geothermie bis etwa 150 Meter Tiefe<br />
zum Heizen und Kühlen von Gebäuden<br />
weit verbreitet. Bei der tiefen Geothermie,<br />
welche die höheren Temperaturen<br />
in tieferen Erdschichten nutzt, handelt<br />
es sich hingegen um eine relativ junge<br />
Technologie. Angesichts der technischen<br />
Herausforderungen bedarf es einer systematischen<br />
Forschung und Förderung.<br />
Die Forschung am <strong>KIT</strong> setzt, unterstützt<br />
von großen Industriepartnern, Akzente<br />
für eine nachhaltige, das heißt sowohl<br />
generationengerechte als auch umweltverträgliche<br />
Nutzung der tiefen Geothermie.<br />
Zahlreiche Institute des <strong>KIT</strong> sind<br />
mit der Thematik befasst. Am Institut für<br />
Angewandte Geowissenschaften (AGW),<br />
Rütteltisch: Dieses Experiment veranschaulicht Sandverflüssigung, Entkopplung und die<br />
Resonanz von Bauteilen. (Exponat des Landesforschungszentrums Geothermie)<br />
besonders an dem von der EnBW AG geförderten<br />
Lehrstuhl für Geothermie und<br />
dem von der Herrenknecht AG gestifteten<br />
Lehrstuhl für Technische Petrophysik<br />
sowie in der Abteilung Hydrogeologie,<br />
decken die Arbeiten das gesamte Spektrum<br />
von der Grundlagenforschung bis hin<br />
zu großmaßstäblichen Experimenten ab.<br />
Die Abteilungen Geothermie und Technische<br />
Petrophysik des AGW bauen zudem<br />
gemeinsam das Landesforschungszentrum<br />
Geothermie (LFZG) für Baden-Württemberg<br />
mit Sitz am <strong>KIT</strong> auf. Als fachlich<br />
unabhängige Einrichtung vom Land<br />
eingesetzt, fördert das LFZG fächerübergreifend<br />
die Forschung, Lehre, Ausbildung<br />
und Technologieentwicklung rund<br />
um die Erdwärme. Baden-Württemberg<br />
bietet besonders günstige geologische<br />
Bedingungen für die tiefe Geothermie. So<br />
liegt im Oberrheingraben die Temperatur<br />
schon in einer relativ geringen Tiefe von<br />
3 000 Metern bei etwa 160 Grad Celsius.<br />
Das LFZG koordiniert die Forschungsaktivitäten<br />
im Land, stellt Informationen<br />
für die breite Öffentlichkeit bereit, berät<br />
Bürger, Behörden, Politik und Wirtschaft<br />
auf der Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse.<br />
In der obersten Erdschicht – der Erdkruste<br />
– steigt die Temperatur um etwa 30 Grad<br />
Celsius pro Kilometer Tiefe. Allein die in<br />
den obersten 3 000 Metern gespeicherte<br />
Wärme entspricht dem 20 000-Fachen<br />
des gegenwärtigen weltweiten <strong>Energie</strong>bedarfs.<br />
Dank ihres hohen Nutzungsgrads<br />
trägt die Geothermie vergleichsweise<br />
kostengünstig dazu bei, das Netz zu<br />
entlasten: Das Verhältnis der erzeugten<br />
Leistung zur installierten Leistung liegt<br />
weltweit bei über 70 Prozent. Durch gezielte<br />
Auswahl der Standorte und durch<br />
optimierte Bohr- und Kraftwerkstechnik<br />
kann die Erdwärme zu einem wichtigen<br />
Bestandteil im <strong>Energie</strong>mix der Zukunft<br />
werden. Um das enorme Potenzial der<br />
Geothermie zu erschließen, bedarf es<br />
einer konsequenten Förderung und einer<br />
systematischen Weiterentwicklung der<br />
Technologien durch Forschungseinrichtungen<br />
und Industrieunternehmen.<br />
Das <strong>KIT</strong> bietet als Verbindung von Universität<br />
und Großforschungseinrichtung<br />
ideale Voraussetzungen, um die gesamte
Prozesskette von der Untersuchung des<br />
Untergrunds bis zur Kraftwerkstechnologie<br />
abzudecken. Im <strong>Zentrum</strong> stehen<br />
unter anderem hydraulische Fragen: Es<br />
geht darum, die Wärme im Untergrund<br />
möglichst effizient zu nutzen, die Fließbewegungen<br />
des Wassers – entweder<br />
durch den Porenraum des Gesteins oder<br />
durch von Natur aus vorhandene Risse<br />
im Untergrund – zu optimieren und den<br />
Fließwiderstand möglichst gering zu hal-<br />
ten. Eine zentrale Bedeutung besitzt auch<br />
die Sicherheit von Geothermieanlagen.<br />
Die Karlsruher Forscher arbeiten an objektivierten<br />
Methoden, um Risiken – etwa<br />
durch induzierte Seismizität – zu erfassen<br />
und einzugrenzen.<br />
Experimente im Maßstab 1:1 dienen<br />
dazu, Wechselwirkungen zwischen<br />
Anlagen und Umwelt zu untersuchen.<br />
Dazu verfügen die Wissenschaftler am<br />
Formen der Erdwärmenutzung: Erdwärmesonden ziehen die Wärme mithilfe einer Wärmeträgerflüssigkeit<br />
aus dem Boden. Die hydrothermale Geothermie greift auf natürlich<br />
vorhandenes Thermalwasser zurück; die petrothermale Geothermie nutzt die natürliche<br />
Wärme heißen Gesteins, das unter hohem Druck eingepresstes Wasser erhitzt.<br />
Permeabilitätsexperiment: Eine Luftpumpe pumpt Luft durch Gesteinsproben, die sich in<br />
dichten Kartuschen befinden. Am Ausgang jeder Kartusche ist ein Luftballon befestigt,<br />
der je nach Permeabilität des Gesteins mehr oder weniger aufgeblasen wird. (Exponat<br />
des Landesforschungszentrums Geothermie)<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
<strong>KIT</strong> unter anderem über einen Bohrlochsimulator.<br />
In einem stillgelegten Bergwerk<br />
im Schwarzwald entsteht das „GeoLaB“,<br />
ein Geothermielabor, in dem Forscher<br />
Stimulationsprozesse direkt untersuchen<br />
und sichtbar machen. Das <strong>KIT</strong> ist auch<br />
Koordinator des von der EnBW AG und<br />
dem Bundesumweltministerium geförderten<br />
Verbundprojekts LOGRO (Langzeitbetrieb<br />
und Optimierung eines Geothermiekraftwerks<br />
in einem geklüftet-porösen<br />
Reservoir im Oberrheingraben): Im<br />
Umfeld des Geothermiekraftwerks Bruchsal<br />
untersuchen Wissenschaftler gezielt<br />
die Wechselwirkungen zwischen einem<br />
komplexen Georeservoir des Buntsandsteins<br />
und einem Kraftwerk im Langzeitbetrieb.<br />
Das aus einer Tiefe von rund<br />
2 500 Metern geförderte, ca. 120 Grad<br />
Celsius heiße Thermalwasser aus einem<br />
geklüftet-porösen salinaren Grundwasserleiter<br />
wird dabei in einem geschlossenen<br />
Doublettensystem nach dem Wärmetauscher<br />
eines angeschlossenen Kraftwerks<br />
in einer Tiefe von rund 1 800 Metern<br />
wieder in dieselbe Gesteinsformation injiziert.<br />
Die Forscher untersuchen besonders<br />
das Zusammenspiel von Kraftwerk und<br />
Thermalwasserkreislauf und die Langzeitstabilität<br />
des Thermalwasserkreislaufs<br />
nach hydraulischen, hydrochemischen<br />
und thermischen Kriterien.<br />
Besonderen Wert legt das <strong>KIT</strong> schließlich<br />
auf Ausbildung und Schulung – über Studiengänge<br />
am <strong>KIT</strong>, an der Hector School<br />
of Engineering and Management sowie<br />
innerhalb des europäischen Konsortiums<br />
KIC InnoEnergy, aber auch über Workshops<br />
für Vertreter von Genehmigungsbehörden<br />
und Wirtschaftsunternehmen und<br />
Informationsveranstaltungen für die breite<br />
Öffentlichkeit. Intensiv genutzt wird auch<br />
das Beratungsangebot für Behörden.<br />
weitere Infos:<br />
Professor Dr. Frank Schilling<br />
Professor Dr. Thomas Kohl<br />
Institut für Angewandte<br />
Geowissenschaften (AGW)<br />
Telefon +49 721 608-44731<br />
(Schilling – Abteilung Petrophysik)<br />
Telefon +49 721 608-45222<br />
(Kohl – Abteilung Geothermie)<br />
E-Mail frank.schilling@kit.edu,<br />
thomas.kohl@kit.edu<br />
Frank Schilling<br />
Thomas Kohl<br />
13
14 EnErgynEws 1|2012<br />
stabiles stromnetz mit erneuerbaren <strong>Energie</strong>n<br />
Der Ausbau regenerativer <strong>Energie</strong>n erfordert neuartige Konzepte, um<br />
das Stromnetz stabil zu halten. Forscher des <strong>KIT</strong> arbeiten an einem innovativen<br />
modellbasierten Regelungskonzept, mit dem sich der genaue<br />
Zustand des Netzes erfassen und im Störfall sofort stabilisieren lässt.<br />
Die Stabilität des heutigen elektrischen<br />
<strong>Energie</strong>systems basiert auf einem Gleichgewicht<br />
zwischen der verbrauchten und<br />
der von Kraftwerken erzeugten elektrischen<br />
<strong>Energie</strong>. Dabei sind die Übertragungsnetzbetreiber<br />
in Deutschland<br />
verpflichtet, mithilfe von Regelleistung<br />
genügend Reserven für Lastabweichungen<br />
vorzuhalten. Das künftige Stromversorgungssystem<br />
wird verstärkt auf<br />
fluktuierende erneuerbare <strong>Energie</strong>n wie<br />
Sonne und Wind zurückgreifen. Diese begünstigen<br />
Instabilitäten im Stromnetz, die<br />
sich beispielsweise in Frequenzschwankungen<br />
äußern können. Damit steigen<br />
die Anforderungen an Stabilitätshaltung<br />
und Netzführung deutlich. Der Bedarf<br />
an schnell regelbaren Kraftwerken sowie<br />
an neuartigen Konzepten zur Stabilitätshaltung<br />
nimmt zu. Durch geeignete<br />
Netzregelungsverfahren müssen die heutigen<br />
Kraftwerksstrukturen an die neuen<br />
Gegebenheiten angepasst werden.<br />
„Das elektrische <strong>Energie</strong>system mit seinen<br />
Verbrauchern und Erzeugern muss deut-<br />
lich flexibler werden, um der schwankenden<br />
regenerativen Erzeugung folgen<br />
zu können“, erklärt Professor Thomas<br />
Leibfried, Leiter des Instituts für Elektroenergiesysteme<br />
und Hochspannungstechnik<br />
(IEH) des <strong>KIT</strong>. Am IEH untersuchen<br />
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,<br />
wie genau sich diese Herausforderung<br />
meistern lässt. Dabei berücksichtigen<br />
sie die technischen Restriktionen des<br />
<strong>Energie</strong>systems, von Kraftwerken und von<br />
steuerbaren Verbrauchern, ebenso wie die<br />
Möglichkeiten der Elektromobilität – Elektrofahrzeuge<br />
besitzen erhebliches Potenzial<br />
als dezentrale Speichereinheiten für die<br />
fluktuierend eingespeisten <strong>Energie</strong>n.<br />
Im bestehenden europäischen <strong>Energie</strong>netz<br />
greifen die Regeleinrichtungen<br />
lediglich auf lokale Messwerte zurück. Die<br />
Algorithmen für die Kraftwerksregelung<br />
basieren somit nicht auf der Kenntnis<br />
des Netzzustands, sondern lediglich auf<br />
Spannungs- und Frequenzmessungen am<br />
Kraftwerk. Das System ist darauf ausgelegt,<br />
dass eine geringe Zahl von Kraft-<br />
Schema des am <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong> entwickelten modellbasierten Regelungskonzepts.<br />
werken den benötigten Strom produziert.<br />
Dadurch fließt im Regelfall die <strong>Energie</strong><br />
von der Hochspannungsebene zur Mittel-<br />
und Niederspannungsebene. Das System<br />
bleibt überschaubar; die Stromversorgung<br />
lässt sich gut planen.<br />
Mit der Einspeisung von regenerativen<br />
<strong>Energie</strong>n jedoch werden Kraftwerke in<br />
das System integriert, die auf allen Netz-<br />
ebenen verteilt sind und abhängig von<br />
äußeren Gegebenheiten Strom produzieren.<br />
Daher bedarf es eines systemischen<br />
Wechsels in Planung und Regelung. Mit<br />
der Zunahme fluktuierender Stromerzeuger<br />
steigt auch der Bedarf an Verteilungsinfrastruktur,<br />
um die <strong>Energie</strong> zu den<br />
Lastzentren zu befördern. Das Volumen<br />
der Transporte von Offshore-Anlagen ins<br />
Landesinnere wächst ebenso wie das der<br />
Transporte über Landesgrenzen hinweg.<br />
Durch dezentrale Anlagen und größere<br />
Netze werden die Systeme immer<br />
komplexer und sind besonders im Störfall<br />
nicht mehr mit konventionellen Mitteln<br />
handhabbar. Vielmehr bedarf es innovativer<br />
Mess- und Kommunikationseinrichtungen,<br />
um die Stromversorgung<br />
sicherzustellen. Die Erweiterung des<br />
UCTE-Netzes, in dem zahlreiche europäische<br />
Länder zusammengeschlossen sind,<br />
hat gezeigt, dass die Eigendämpfung<br />
des so entstehenden Verbundnetzes<br />
abnimmt. Damit wächst die Neigung zu<br />
einem aufschwingenden Verhalten, das<br />
einen Ausfall von großen Netzabschnitten<br />
nach sich ziehen kann.<br />
Am IEH des <strong>KIT</strong> gehen Forscher die<br />
Problematik analytisch an: Sie arbeiten an<br />
einem innovativen modellbasierten Regelungskonzept,<br />
das sich der Systemtheorie<br />
bedient. Dazu stellen sie ein Differenzialgleichungssystem<br />
auf, das Dynamik<br />
und Verkopplung des Gesamtsystems<br />
widerspiegelt. Der verstärkte Einsatz<br />
von Mess- und Kommunikationstechnik<br />
ermöglicht, jederzeit den genauen Zustand<br />
des Netzes zu erfassen und darüber<br />
hinaus das System im Störfall wieder in<br />
einen sicheren Zustand zu überführen.<br />
Mithilfe eines Modells entwerfen die Wissenschaftler<br />
einen Regelungsalgorithmus,<br />
der das Systemverhalten gezielt über die<br />
Stellgrößen beeinflusst. Die Kraftwerke<br />
werden als Stellgrößen aufgefasst, wo-
Konventionelles Regelsystem Modellprädiktiver Regler (MPC)<br />
Simulation einer Laständerung von 2 MW/1 MVar auf 8 MW/4 MVar: Beim konventionell<br />
geregelten System oszilliert der Spannungsverlauf deutlich länger als beim MPCgeregelten<br />
System.<br />
Konventionelles Regelsystem Modellprädiktiver Regler (MPC)<br />
Simulation eines Kurzschlusses: Mit der konventionellen Regelung kommt es zu einem<br />
gegenseitigen Aufschaukeln der Generatoren. Das MPC-geregelte System beherrscht<br />
den Kurzschluss.<br />
Stand 2010 Ausbau 2020<br />
Die linke Grafik zeigt den Anteil der Windkrafterzeugung am Bruttostromverbrauch in<br />
Deutschland für das Jahr 2010 (Datenbasis: ÜNB, entsoe). Rechts ist der durch Skalieren<br />
dieser Eingangsdaten für 2020 prognostizierte Anteil dargestellt – Windkraft wird dann<br />
rund 20 Prozent des Strombedarfs decken.<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
durch das Betriebsverhalten kontrolliert<br />
wird; als Messgrößen dienen Spannungswerte<br />
des Netzes.<br />
Das nichtlineare Modell zweier Synchrongeneratoren,<br />
verknüpft über ein Mittelspannungsnetz,<br />
wird über eine Modellprädiktive<br />
Regelung (MPC) kontrolliert.<br />
Als Messwerte dienen alle Knotenspannungen<br />
des Netzes. Sie fungieren als Eingangswerte,<br />
um die Zustandsgrößen zu<br />
ermitteln. Mit den geschätzten Zustandsgrößen<br />
kann die MPC das nichtlineare<br />
System so beeinflussen, dass die vorgegebenen<br />
Sollgrößen eingestellt werden.<br />
Um den entwickelten Regelalgorithmus<br />
zu validieren, haben die <strong>KIT</strong>-Wissenschaftler<br />
ein Inselnetz mit zwei Generatoren<br />
und fünf Leitungen aufgebaut. Zur<br />
Prüfung der dynamischen Performance ist<br />
es erforderlich, das System einer großen<br />
Zustandsänderung zu unterziehen. Daher<br />
haben die Forscher die beiden in der<br />
Praxis relevantesten Ereignisse simuliert:<br />
einen dreiphasigen Kurzschluss sowie<br />
eine große Laständerung. Bei der Simulation<br />
berücksichtigen sie die in der Praxis<br />
auftretenden Stellgrößenbeschränkungen<br />
der Generatoren.<br />
Zuerst erprobten die Wissenschaftler eine<br />
schlagartige Laständerung von 2 MW/<br />
1 MVar auf 8 MW/4 MVar. Als Zweites<br />
simulierten sie nach fünf Sekunden einen<br />
Kurzschluss von 200 ms. Ergebnis: Mit<br />
der konventionellen Regelung, die keine<br />
Kenntnis über das Gesamtsystem besitzt,<br />
sondern nur die lokale Klemmspannung<br />
regelt, kommt es zu einem gegenseitigen<br />
Aufschaukeln der Generatoren. Das<br />
per MPC geregelte System hingegen ist<br />
mit dem Modell und den Messwerten<br />
aller Klemmspannungen imstande, den<br />
Kurzschluss zu beherrschen. Das Modell<br />
berücksichtigt die Verkopplung der<br />
Generatoren über das Netz und kann<br />
damit Resonanzeffekte vorhersagen und<br />
vermeiden.<br />
Matthias Kahl<br />
Ulrich Reiner<br />
weitere Infos:<br />
Ulrich Reiner<br />
Institut für Elektroenergiesysteme und<br />
Hochspannungstechnik (IEH)<br />
Telefon +49 721 608-43065<br />
E-Mail ulrich.reiner@kit.edu<br />
15
16 EnErgynEws 1|2012<br />
Offener dreiphasiger Begrenzer: Ein supraleitender Strombegrenzer<br />
wirkt ähnlich wie eine Sicherung, ist jedoch beliebig oft auslösbar und<br />
automatisch wieder einsatzbereit.<br />
supraleitende Komponenten für die <strong>Energie</strong>netze von morgen<br />
<strong>Energie</strong>technische Anwendungen der Supraleitung, wie supraleitende<br />
Strombegrenzer und Kabel, können wesentlich zum erforderlichen<br />
Ausbau und Umbau der <strong>Energie</strong>netze beitragen und diese zuverlässiger,<br />
sicherer und effizienter machen. Am <strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong> entwickeln<br />
Forscherinnen und Forscher solche neuartigen Netzkomponenten gemeinsam<br />
mit Industriepartnern.<br />
Das Rückgrat einer zuverlässigen, sicheren<br />
und effizienten Stromversorgung sind<br />
die elektrischen Netze, die sich von der<br />
<strong>Energie</strong>umwandlung über die <strong>Energie</strong>übertragung<br />
bis zur <strong>Energie</strong>verteilung<br />
erstrecken. Bereits heute ist abzusehen,<br />
dass auf diese Netze zahlreiche neue<br />
Herausforderungen zukommen – schrittweise<br />
Erneuerung und weiterer Ausbau<br />
sind daher unumgänglich. Gründe dafür<br />
sind unter anderem, dass die vorhandenen<br />
Netze zunehmend altern, dass immer<br />
mehr schwankende regenerative <strong>Energie</strong>n<br />
wie Sonne und Wind eingespeist werden<br />
und dass das Verbraucherverhalten sich<br />
wandelt. So wird vermehrt elektrische<br />
<strong>Energie</strong> nachgefragt, beispielsweise für<br />
Elektrofahrzeuge.<br />
Supraleitende Komponenten können<br />
künftig einen wichtigen Beitrag zur an-<br />
stehenden Erneuerung elektrischer Netze<br />
leisten. Entdeckt wurde das Phänomen der<br />
Supraleitung bereits 1911 von dem niederländischen<br />
Physiker Heike Kammerlingh<br />
Onnes: Einige Materialien zeigen keinen<br />
elektrischen Widerstand mehr, wenn sie<br />
unter eine bestimmte Temperatur – die<br />
sogenannte Sprungtemperatur – abgekühlt<br />
werden. Aber erst seit Karl Müller<br />
und Georg Bednarz 1986 die Hochtemperatur-Supraleitung<br />
entdeckten, ist eine<br />
wirtschaftlich sinnvolle Anwendung in<br />
<strong>Energie</strong>netzen möglich: Da Hochtemperatur-Supraleiter<br />
(HTS) im Vergleich zu<br />
Tieftemperatur-Supraleitern eine deutlich<br />
höhere Sprungtemperatur aufweisen,<br />
erlauben sie die Kühlung mit preiswertem<br />
flüssigen Stickstoff bei 77 K (–196 °C).<br />
Die äußerst hohe Stromdichte von Supraleitern<br />
bei vernachlässigbarem Gleich-<br />
stromwiderstand gestattet es, bekannte<br />
Komponenten wie Kabel, Generatoren<br />
und Transformatoren wesentlich kompakter,<br />
leistungsstärker und verlustärmer<br />
auszulegen. Neuartige Netzkomponenten<br />
wie der supraleitende Strombegrenzer<br />
und supraleitende magnetische <strong>Energie</strong>speicher<br />
werden durch Supraleitung überhaupt<br />
erst möglich.<br />
Ein supraleitender Strombegrenzer wirkt<br />
ähnlich wie eine Sicherung, welche die<br />
Höhe des Kurzschlussstroms signifikant<br />
begrenzt und dadurch die Netze sicherer<br />
und zuverlässiger macht. Im Unterschied<br />
zu herkömmlichen Sicherungen sind<br />
supraleitende Strombegrenzer jedoch<br />
beliebig oft ohne einen Ersatz auslösbar<br />
und automatisch wieder einsatzbereit.<br />
All diese Eigenschaften zusammen lassen<br />
sich bis jetzt nicht mit anderen Mitteln<br />
erreichen, was die hohe Attraktivität der<br />
Supraleitung und die zahlreichen Entwicklungen<br />
auf diesem Gebiet erklärt.<br />
Am <strong>KIT</strong> entwickeln Forscherinnen und<br />
Forscher des Instituts für Technische<br />
Physik (ITEP) in enger Kooperation mit<br />
Industriepartnern neuartige supraleitende<br />
Netzkomponenten und haben<br />
dabei einige weltweit beachtete Erfolge
erzielt. Bereits 2004 begann im Rahmen<br />
eines Verbundprojekts der weltweit erste<br />
Netzbetrieb eines resistiven supraleitenden<br />
Strombegrenzers und lief mit großem<br />
Erfolg. Im Oktober 2011 erreichten die<br />
Entwickler einen weiteren Meilenstein:<br />
Der weltweit erste Netzbetrieb eines<br />
resistiven Strombegrenzers basierend auf<br />
den Hochtemperatur-Supraleitern der<br />
2. Generation im Eigenbedarfsnetz eines<br />
Kraftwerkes begann.<br />
Vor Kurzem startete ein neues Verbundprojekt<br />
mit dem Ziel, bis 2013 erstmals in<br />
Deutschland ein supraleitendes Kabel in<br />
der Innenstadt einer Großstadt zu verlegen<br />
und im realen Netzbetrieb ausgiebig<br />
zu testen. Das Kabel hat eine Leistung<br />
von 40 MVA bei einer Spannung von<br />
10 kV und wird mit einer Länge von<br />
einem Kilometer die längste realisierte<br />
supraleitende Kabelstrecke sein. In Kombination<br />
mit dem Kabel wird ein supraleitender<br />
Strombegrenzer installiert.<br />
Ein 10 kV, 800 A resistiver Strombegrenzer-Einsatz<br />
von der Firma Nexans<br />
SuperConductors.<br />
Die Forscherinnen und Forscher des ITEP<br />
arbeiten unter anderem daran, die supraleitende,<br />
strombegrenzende Komponente<br />
eines Strombegrenzers zu entwickeln.<br />
Auch klären sie wichtige Fragen der<br />
zuverlässigen elektrischen Isolation bei<br />
tiefen Temperaturen oder der Alterung<br />
der Komponenten durch Kurzschlüsse<br />
oder durch andere in der Praxis auftre-<br />
Supraleitender strombegrenzender Transformatordemonstrator mit 60 kVA: Er funktionierte<br />
als Erster mit vollständiger Rückkühlung unter Nennstrom.<br />
weitere Infos:<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
tende Belastungen. Bei der Entwicklung<br />
von supraleitenden Kabeln geht es vor<br />
allem um die Untersuchung verlustarmer,<br />
hochstromtauglicher Leiterkonzepte.<br />
Die mit dem Industriepartner entwickelten<br />
Leiterkonzepte lassen sich dabei in<br />
aufwendigen Finite-Elemente-Methode-<br />
Berechnungen simulieren. In einem noch<br />
aufzubauenden Teststand werden sie<br />
künftig vor allem praxisrelevanten Prüfungen<br />
unterzogen werden.<br />
Insgesamt versteht sich das Institut für<br />
Technische Physik des <strong>KIT</strong> als nationales<br />
und internationales Kompetenzzentrum<br />
für technische Anwendungen der Supraleitung.<br />
Ausgehend von der Entwicklung<br />
großer supraleitender Magnete für die<br />
Fusion, begann das Institut bereits vor<br />
mehr als zehn Jahren, neuartige supraleitende<br />
Netzkomponenten zu entwickeln.<br />
Dank der Verbindung von Supraleitermaterialkenntnissen,<br />
Kryotechnikexpertise<br />
und Kenntnissen über Netzkomponenten<br />
sowie dank der teilweise einzigartigen<br />
Versuchsstände und des umfassenden<br />
Know-hows von Mitarbeitern besitzt<br />
das ITEP eine Alleinstellung auf diesem<br />
Forschungsgebiet.<br />
Weltweit gab es in den vergangenen<br />
Jahren eine Vielzahl von Prototypen, besonders<br />
für supraleitende Strombegrenzer<br />
und <strong>Energie</strong>speicher, die erfolgreich entwickelt<br />
und anschließend im Netz erprobt<br />
wurden. Bei Strombegrenzern hat der Industriepartner<br />
des ITEP bereits erste kommerzielle<br />
Anwendungen realisiert. 100<br />
Jahre nach der Entdeckung der Supraleitung<br />
stehen damit erstmals energietechnische<br />
Anwendungen wie supraleitende<br />
Strombegrenzer und supraleitende Kabel<br />
an der Schwelle zur Kommerzialisierung.<br />
Diese Komponenten können <strong>Energie</strong>netze<br />
künftig deutlich zuverlässiger, sicherer und<br />
effizienter machen.<br />
Mathias Noe<br />
Wilfried Goldacker<br />
Professor Dr. Mathias Noe<br />
Dr. Wilfried Goldacker<br />
Institut für Technische Physik (ITEP)<br />
Telefon +49 721 608-23500 (Noe)<br />
Telefon +49 721 608-24179 (Goldacker)<br />
E-Mail mathias.noe@kit.edu<br />
E-Mail wilfried.goldacker@kit.edu<br />
17
18 EnErgynEws 1|2012<br />
weiße Zertifikate für <strong>Energie</strong>effizienz<br />
Was tun unsere europäischen Nachbarn, um <strong>Energie</strong> einzusparen?<br />
Frankreich nutzt sogenannte Weiße Zertifikate, um Marktakteure zu<br />
verpflichten, Maßnahmen für mehr <strong>Energie</strong>effizienz zu ergreifen. Was<br />
dieses umweltpolitische Instrument bewirkt, haben Forscher des <strong>KIT</strong>-<br />
<strong>Zentrum</strong>s <strong>Energie</strong> untersucht.<br />
Akteure auf dem <strong>Energie</strong>markt, vor<br />
allem Versorger, werden verpflichtet,<br />
in festgelegten Zeiträumen bestimmte<br />
Mengen <strong>Energie</strong> in allen Endverbrauchersektoren<br />
einzusparen. Für das Erreichen<br />
der Ziele erhalten sie <strong>Energie</strong>effizienzzertifikate,<br />
die sie auch an andere Akteure<br />
verkaufen können. Hat ein verpflichteter<br />
Marktteilnehmer nicht genug Zertifikate<br />
gesammelt, droht ihm eine Strafgebühr.<br />
So funktioniert das System der Weißen<br />
Zertifikate. Als umweltpolitisches Instrument<br />
sollen diese Zertifikate bestehende<br />
Gesetze und laufende Maßnahmen nicht<br />
ersetzen, sondern vielmehr ergänzen.<br />
Sie zielen darauf, aktuelle oder neu<br />
formulierte <strong>Energie</strong>effizienzziele kostengünstig<br />
zu erreichen. Großbritannien,<br />
die belgische Region Flandern und Italien<br />
führten vergleichbare Instrumente 2002,<br />
2003 und 2005 ein; Frankreich folgte<br />
2006. Welche Erfahrungen Frankreich<br />
bis jetzt gesammelt hat, zeigen Sylvain<br />
Cail, Dr. Russell McKenna und Professor<br />
Wolf Fichtner vom Deutsch-Französischen<br />
Institut für Umweltforschung (DFIU) des<br />
<strong>KIT</strong> in ihrer Untersuchung „Environmental<br />
instruments to increase energy efficien-<br />
Foto: piu700/pixelio.de<br />
cy – experience with white certificates in<br />
France“ (In: <strong>Energie</strong>effizienz – Tagungsband<br />
des VDI-Expertenforums „<strong>Energie</strong>effizienz<br />
in den Städten und der Industrie<br />
von morgen“; <strong>KIT</strong> Scientific Publishing;<br />
http://digbib.ubka.uni-karlsruhe.de/<br />
volltexte/1000023676)<br />
Das französische System der Weißen<br />
Zertifikate beruht auf der 2006 erlassenen<br />
EU-Richtlinie zur Endenergieeffizienz,<br />
die eine Einsparung von neun Prozent des<br />
jährlichen Verbrauchs bis 2016 vorsieht,<br />
sowie dem Französischen <strong>Energie</strong>gesetz<br />
vom Juli 2005, das die Errichtung eines<br />
Markts für <strong>Energie</strong>effizienzzertifikate<br />
bestimmt und Einsparverpflichtungen für<br />
eine erste Periode von 2006 bis 2009 vorgibt.<br />
Rahmenbedingungen und Einsparverpflichtungen<br />
für eine zweite Periode<br />
von 2011 bis 2013 sind im „Loi Grenelle<br />
II“ vom Juli 2010 festgeschrieben. Ziel<br />
ist, große, aber noch unbestimmte Einsparpotenziale<br />
in Verbrauchersektoren,<br />
besonders in Haushalten, zu erschließen.<br />
Einsparziele sind für jede <strong>Energie</strong>art –<br />
Strom, Erdgas, Heizöl, Kälte, Flüssiggas,<br />
Kraftstoffe – und jeden <strong>Energie</strong>versorger<br />
abhängig von Verkaufsvolumina und<br />
deren Geldwerten vorgegeben. Wie<br />
viele Weiße Zertifikate ein Akteur erhält,<br />
hängt von der Quantität der eingesparten<br />
<strong>Energie</strong> ab, die kumuliert und diskontiert<br />
betrachtet wird. Dabei wird die pauschale<br />
kumulierte diskontierte Einsparung über<br />
die Dauer der Maßnahme in der Einheit<br />
„cumac kWh“ angegeben. Einem effizienten<br />
Kühlschrank mit einer jährlichen<br />
Einsparung von 100 kWh/a und einer<br />
Lebensdauer von zehn Jahren entspricht<br />
beispielsweise eine Einsparung von 843<br />
cumac kWh.<br />
Ein kontinuierlich aktualisierter Katalog<br />
definiert mehr als 200 Standard-Einsparmaßnahmen<br />
für die Sektoren Haushalte,<br />
Industrie, Gewerbe – Handel – Dienst-<br />
leistungen, Netze, Transport und Landwirtschaft.<br />
Jede Maßnahme ist durch<br />
eine Pauschaleinsparung charakterisiert.<br />
So bringt die Installation einer Haushaltswaschmaschine<br />
der Effizienzklasse A+ mit<br />
zehn Jahren Lebensdauer eine pauschale<br />
Einsparung von 130 cumac kWh. Für<br />
manche Maßnahmen variiert die Zahl<br />
der Zertifikate abhängig vom Klima der
Überblick über die Struktur des Markts für Weiße Zertifikate in Frankreich.<br />
Kumulierte <strong>Energie</strong>einsparungen und erwartete Entwicklung.<br />
Anzahl existierender Maßnahmen und Verteilung der erzielten Einsparungen in der<br />
Periode 2006 bis 2009.<br />
weitere Infos:<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
Region, wobei drei Klimazonen definiert<br />
sind. Die Strafgebühr für nicht erreichte<br />
Einsparziele am Ende jeder Periode liegt<br />
bei 0,02 Euro pro cumac kWh. Dadurch<br />
steht auch ein Höchstpreis für Weiße<br />
Zertifikate fest, und unangemessene<br />
<strong>Energie</strong>preiserhöhungen sind weitgehend<br />
ausgeschlossen.<br />
Für die erste Periode von 2006 bis 2009<br />
betrug das Einsparziel 54 cumac TWh.<br />
Verpflichtet waren 42 Akteure für Strom,<br />
Erdgas, Kälte und Flüssiggas sowie 2 452<br />
Akteure für Heizöl. Dazu kam eine große<br />
Zahl von teilnahmeberechtigten – potenziellen<br />
– Akteuren. Das Ziel wurde<br />
mit insgesamt eingesparten 65,2 cumac<br />
TWh übertroffen. 3,9 Milliarden Euro<br />
wurden in <strong>Energie</strong>sparmaßnahmen<br />
investiert; für die Endverbraucher ergab<br />
sich eine <strong>Energie</strong>kostenersparnis von 4,3<br />
Milliarden Euro über die Gesamtdauer<br />
der Maßnahmen. Überdies erreichten die<br />
Maßnahmen eine jährliche Emissionsreduktion<br />
von 1,83 Millionen Tonnen CO 2 .<br />
In Haushalten wurden über 86 Prozent<br />
der zertifizierten <strong>Energie</strong>einsparungen<br />
erreicht; häufigste Maßnahmen waren die<br />
Installation eines Brennwertkessels oder<br />
eines Niedertemperatur-Heizkessels in<br />
Einfamilienwohnhäusern. Für die derzeit<br />
laufende zweite Periode von 2011 bis<br />
2013 beträgt das Einsparziel insgesamt<br />
345 cumac TWh. Verpflichtet sind 42<br />
Akteure für Strom, Erdgas, Kälte und<br />
Flüssiggas und rund 2 200 Akteure für<br />
Heizöl. Dazu kommen rund 40 Akteure<br />
für Kraftstoffe. Der Markteintritt für nicht<br />
verpflichtete Akteure ist in dieser Periode<br />
eingeschränkt. Das Ausschließen von<br />
kleineren Akteuren soll die administrativen<br />
Kosten senken. Bereits jetzt zeichnet<br />
sich ab, dass das Einsparziel wiederum<br />
übertroffen werden sollte.<br />
Sylvain Cail<br />
Deutsch-Französisches Institut für<br />
Umweltforschung (DFIU)<br />
Lehrstuhl für <strong>Energie</strong>wirtschaft<br />
Telefon +49 721 608-44482<br />
E-Mail sylvain.cail@kit.edu<br />
Sylvain Cail<br />
19
20 EnErgynEws 1|2012<br />
nukleare sicherheitsforschung am <strong>KIT</strong> – nach der<br />
reaktorkatastrophe in Japan<br />
Nach den Ereignissen im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi<br />
hat die Bundesregierung entschieden: Deutschland wird als erstes<br />
Industrieland der Welt innerhalb eines Jahrzehnts vollständig aus der<br />
Kernenergie aussteigen; 2022 wird der letzte Reaktor vom Netz gehen.<br />
Diesen Ausstieg gilt es so sicher wie möglich zu gestalten. Auch der<br />
Rückbau der stillgelegten Kernkraftwerke und die Endlagerfrage werden<br />
die Gesellschaft und somit auch die Forschung noch auf Jahrzehnte<br />
beschäftigen.<br />
Der Ausstieg aus der Kernenergie darf daher<br />
nicht bedeuten, sich von den entsprechenden<br />
Kompetenzen zu verabschieden.<br />
In den Bereichen Reaktorsicherheit, Rückbau,<br />
Endlagerung, Strahlenschutz und Krisenmanagement,<br />
zur kritischen Begleitung<br />
internationaler Entwicklungen und zur<br />
kompetenten Bewertung der kerntechnischen<br />
Einrichtungen um Deutschland<br />
herum sind diese Kompetenzen weit über<br />
den deutschen Ausstieg hinaus gefragt.<br />
Daher hebt auch der Abschlussbericht der<br />
Ethikkommission „Sichere <strong>Energie</strong>versorgung“<br />
die Bedeutung kerntechnischer Forschung<br />
hervor. Eine enge Zusammenarbeit<br />
auf nationaler, europäischer und internationaler<br />
Ebene ist dabei unerlässlich. Auch<br />
die nukleare Sicherheitsforschung am <strong>KIT</strong><br />
richtet sich an den Herausforderungen des<br />
Kernenergieausstiegs aus. Es geht darum,<br />
die hohen Kompetenzen in den Bereichen<br />
Anlagensicherheit und Rückbau, Umgang<br />
mit radioaktiven Abfällen sowie Strahlenschutz<br />
zu erhalten.<br />
Fernhantiertes Arbeiten mit<br />
radioaktivem Material in<br />
sogenannten Heißen Zellen.<br />
Bei der Anlagensicherheit gilt es, die rechnerische<br />
Simulation spezieller Details, von<br />
Brennstäben und Brennelementen bis zu<br />
kompletten Reaktorkreisläufen, weiter zu<br />
verbessern, um unter anderem das zeitabhängige<br />
Verhalten dieser Systeme bei<br />
verschiedenen Betriebszuständen simulieren<br />
und die Sicherheitseigenschaften<br />
analysieren zu können. Dies gilt speziell<br />
auch für Auslegungsstörfälle, da sie der<br />
betrieblichen Genehmigung der Anlagen<br />
zugrunde liegen. Was auslegungsüberschreitende<br />
Störfälle und Notfallschutz<br />
betrifft, sind beim Reaktordruckbehälter<br />
(RDB) die Beurteilung möglicher Kühlbarkeits-<br />
und Rückhaltepotenziale, aber<br />
auch die Vorhersage eines eventuellen<br />
RDB-Versagens wichtige Forschungspunkte.<br />
Die Analyse von Fundamenterosion<br />
durch Corium-Schmelzen (MCCI) ist von<br />
erheblicher Relevanz, um das Risiko von<br />
schweren Störfällen zu bewerten. Wichtig<br />
ist, Containment-Konzepte hinsichtlich<br />
unterschiedlicher Versagensmechanismen<br />
weiterzuentwickeln sowie die Rückhalte-<br />
Foto: Coerten
mechanismen für möglicherweise freigesetzte<br />
Spaltprodukte zu verbessern.<br />
Im Rahmen des Vorsorgegebots haben<br />
Forscher am <strong>KIT</strong> das Echtzeit-Entscheidungshilfesystem<br />
RODOS (Real-time<br />
on-line decision support) entwickelt.<br />
Werden radioaktive Stoffe in die Umwelt<br />
freigesetzt, identifiziert RODOS Maßnahmen,<br />
die den größtmöglichen Schutz vor<br />
Strahlung und möglichen Strahlenschäden<br />
gewährleisten. Die mathematischen<br />
Modelle und komplexen IT-Systemarchitekturen<br />
von RODOS müssen stetig<br />
weiterentwickelt werden.<br />
Beim Rückbau der deutschen Kernkraftwerke<br />
über Dekaden hinweg muss unter<br />
anderem die verfahrenstechnische Kette<br />
optimiert werden, um die anfallenden radioaktiven<br />
Abfallmengen sowie die Strahlenbelastung<br />
des Personals zu verringern.<br />
Dazu entwickelt das <strong>KIT</strong> neuartige Techniken,<br />
beispielsweise zur Dekontamination<br />
von Oberflächen oder zur Trennung von<br />
einzelnen Gebäudekomponenten unter<br />
schwierigen Umgebungsbedingungen.<br />
Ein Schwerpunkt der nuklearen Sicherheitsforschung<br />
am <strong>KIT</strong> liegt auf dem<br />
Umgang mit radioaktiven Abfällen. Die<br />
Endlagerforschung hat grundlegende wissenschaftliche<br />
und technische Erkenntnisse<br />
erbracht. Allerdings müssen Forschung,<br />
Entwicklung, Aus- und Weiterbildung<br />
konsequent fortgesetzt werden, gerade<br />
was Endlagererrichtung und -optimierung,<br />
Endlagerbetrieb, Betriebs- und<br />
Langzeitsicherheit betrifft.<br />
Die Langzeitsicherheit eines Endlagers<br />
lässt sich nicht allein durch technische<br />
Maßnahmen nachweisen. Vielmehr<br />
bedarf es des Verständnisses aller grundlegenden<br />
thermischen, hydraulischen,<br />
mechanischen, chemischen, radiologischen<br />
und biologischen Prozesse in<br />
einem Endlagersystem. Dies erfordert<br />
neueste analytische, spektroskopische<br />
und theoretische Methoden. So lassen<br />
sich belastbare thermodynamische und kinetische<br />
Daten für die Sicherheitsanalyse<br />
eines nuklearen Endlagers ermitteln, die<br />
nicht nur für einen bestimmten Standort<br />
gelten, sondern sich auch auf andere<br />
Endlagerformationen übertragen lassen.<br />
Diese grundlegenden Daten fließen in reaktive<br />
Transportmodelle ein, die teils neu<br />
zu entwickeln sind, um eine mögliche<br />
Radionuklidausbreitung für verschiedene<br />
weitere Infos:<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
Autark arbeitender Manipulator für Dekontaminationsarbeiten – AMANDA.<br />
Simulation der Wechselwirkung von Kern-<br />
schmelze mit Beton in der MOCKA-Anlage<br />
(Metal Oxide Concrete interaction – Karlsruhe)<br />
am <strong>KIT</strong>-Campus Nord.<br />
Endlagerkonzepte und Szenarien der<br />
jeweiligen Endlagerentwicklung beschreiben<br />
und bewerten zu können. Dies<br />
ermöglicht einen fundierten Sicherheitsnachweis<br />
über äußerst lange Zeiträume.<br />
Eine Möglichkeit, das Langzeitrisiko endzulagernder<br />
hochradioaktiver Abfälle wesentlich<br />
zu verringern, stellen Partitioning<br />
und Transmutation (P&T) dar: Langlebige<br />
Radionuklide werden aus dem Abfall<br />
abgetrennt (Partitioning) und in speziellen<br />
Anlagen durch Neutronenreaktionen in<br />
stabile oder kurzlebige Isotope umgewandelt<br />
(Transmutation). Das Inventar an<br />
langlebigen radiotoxischen Radionukliden<br />
lässt sich dadurch um mehrere Größenordnungen<br />
reduzieren. Die Radiotoxizität<br />
der dann noch endzulagernden Abfälle<br />
wird unter Berücksichtigung von Prozessverlusten<br />
nach wenigen Jahrtausenden<br />
auf das Niveau des natürlichen Urans<br />
abgeklungen sein.<br />
Der Schutz von Mensch und Umwelt<br />
ist Anliegen des Strahlenschutzes. Die<br />
Risiken beim Umgang mit ionisierender<br />
Strahlung sind zentrale Größen zur<br />
Bewertung aller Maßnahmen während<br />
der Restlaufzeit, der Stilllegung und des<br />
Rückbaus kerntechnischer Anlagen sowie<br />
für die sichere Entsorgung radioaktiver<br />
Abfälle. Daher gilt es, die messtechnische<br />
Erfassung von Strahlung weiter zu<br />
erforschen und zu entwickeln. Besonders<br />
wichtig ist, die Unterschiede bei der zeitlichen<br />
und räumlichen Verteilung einer<br />
Strahlendosis zu bewerten und dabei den<br />
Menschen als Einzelperson mit individuellen<br />
anatomischen und physiologischen<br />
Eigenschaften zu betrachten.<br />
Th. Walter Tromm<br />
Angelika Bohnstedt<br />
Klaus Gompper<br />
Dr. Angelika Bohnstedt<br />
Programm Nukleare Sicherheitsforschung<br />
Sicherheitsforschung zur Nuklearen<br />
Entsorgung<br />
Strahlenschutzforschung<br />
Telefon +49 721 608-25525<br />
E-Mail angelika.bohnstedt@kit.edu<br />
21
22 EnErgynEws 1|2012<br />
Die <strong>Energie</strong>wende aus Verbrauchersicht<br />
Technologien für mehr Effizienz und einen hohen Anteil regenerativer<br />
<strong>Energie</strong>n sind in aller Munde. Um die <strong>Energie</strong>wende zu verwirklichen,<br />
bedarf es aber nicht nur eines Umbaus der Infrastruktur, sondern auch<br />
der Akzeptanz der Nutzer. Die Helmholtz-Allianz ENERGY-TRANS forscht<br />
an den Schnittstellen zwischen <strong>Energie</strong>technik, Planungsverfahren und<br />
Verbraucherverhalten.<br />
Strom kommt jederzeit aus der Steckdose,<br />
das Auto lässt sich nach Bedarf an der<br />
nächsten Tankstelle betanken – daran ist<br />
die Gesellschaft seit Jahrzehnten gewöhnt.<br />
<strong>Energie</strong> in Form von Strom, Gas<br />
oder Kraftstoffen ist zuverlässig und fast<br />
uneingeschränkt verfügbar. Die <strong>Energie</strong>wende<br />
wird Veränderungen mit sich bringen.<br />
Mancherorts zeigen sich bereits Konflikte<br />
um neue Stromtrassen, Windparks<br />
und Pumpwasserspeicherwerke. Innovative<br />
Infrastrukturen, wie intelligente Stromnetze,<br />
verlangen ein flexibleres Verhalten<br />
von den Verbrauchern. Inwieweit sind<br />
die Bürgerinnen und Bürger bereit, diese<br />
Veränderungen mitzutragen?<br />
„Um zukünftige <strong>Energie</strong>infrastrukturen<br />
zu erforschen und zu gestalten, benötigen<br />
wir mehr als die Entwicklung und<br />
Bereitstellung von technischen Innovationen.<br />
Notwendig sind auch ihre Einbettung<br />
in organisatorische, wirtschaftliche<br />
und kulturelle Kontexte und die Einsicht<br />
in soziale und individuelle Verhaltens- und<br />
Akzeptanzmuster. Nur auf dieser Basis<br />
lassen sich Strategien entwickeln, wie der<br />
Transformationsprozess effizient und sozialverträglich<br />
ausgestaltet werden kann“,<br />
erklärt Professor Armin Grunwald, Leiter<br />
des Instituts für Technikfolgenabschätzung<br />
und Systemanalyse (ITAS) des <strong>KIT</strong>.<br />
Zusammen mit Professor Ortwin Renn, Direktor<br />
des interdisziplinären Forschungsschwerpunkts<br />
Risiko und Nachhaltige<br />
Technikentwicklung (ZIRN) der Universität<br />
Stuttgart, fungiert Armin Grunwald als<br />
Sprecher der neuen Helmholtz-Allianz<br />
„ENERGY-TRANS: Zukünftige Infrastrukturen<br />
der <strong>Energie</strong>versorgung. Auf dem<br />
Weg zur Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit“.<br />
Der Problematik entsprechend verfolgt<br />
die Allianz einen interdisziplinären Ansatz:<br />
Psychologen, Ökonomen, Sozialwissenschaftler,<br />
Systemtheoretiker und Geisteswissenschaftler<br />
untersuchen gemeinsam<br />
Damit Elektromobilität flächendeckend genutzt werden kann, bedarf es einer entsprechenden<br />
Ladeinfrastruktur.<br />
mit Technologieexperten die Voraussetzungen<br />
und Bedingungen der <strong>Energie</strong>wende.<br />
ENERGY-TRANS begreift das <strong>Energie</strong>system<br />
als sozio-technisches System<br />
und betrachtet demgemäß sowohl die<br />
technisch-infrastrukturellen als auch die<br />
gesellschaftlichen Herausforderungen<br />
und Implikationen der <strong>Energie</strong>wende. Im<br />
<strong>Zentrum</strong> stehen die Wechselwirkungen<br />
zwischen <strong>Energie</strong>angebot, Speicherung<br />
und Verteilung auf der einen Seite und<br />
institutioneller Steuerung, <strong>Energie</strong>nachfrage<br />
und gesellschaftlicher Akzeptanz<br />
auf der anderen Seite.<br />
Dabei widmen sich die Wissenschaftler<br />
vor allem der Nutzerseite, das heißt der<br />
Sicht des privaten, industriellen oder<br />
institutionellen Verbrauchers. Innovative<br />
<strong>Energie</strong>infrastrukturen, ob Verteilungsnetze,<br />
Speicher oder Steuerungseinheiten,<br />
erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn die<br />
Menschen sie akzeptieren und funktionsgerecht<br />
nutzen. So erfordert ein intelligentes<br />
Stromnetz – Smart Grid – eine<br />
enge Absprache zwischen Versorger und<br />
Kunde: Wie tief soll der Versorger beispielsweise<br />
in die Steuerung elektrischer<br />
Geräte in privaten Haushalten eingreifen<br />
können? Wenn sich die Beteiligten über<br />
solche Fragen nicht verständigen, drohen<br />
weitreichende Auseinandersetzungen,<br />
die sogar dazu führen können, dass neue<br />
Versorgungsmodelle abgelehnt werden.<br />
Die Helmholtz-Allianz ENERGY-TRANS<br />
zielt nicht nur auf wissenschaftliche<br />
Erkenntnis, sondern auch auf handlungsorientiertes<br />
Wissen. Daher bezieht sie<br />
Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft aktiv in ihre Arbeit<br />
ein. Schließlich geht es auch darum,<br />
der breiten Öffentlichkeit die komplexen<br />
Zusammenhänge im <strong>Energie</strong>bereich<br />
verständlich zu machen. Das <strong>KIT</strong> wirkt<br />
in der Allianz federführend. Als weitere<br />
Helmholtz-Zentren sind das Forschungszentrum<br />
Jülich, das Deutsche <strong>Zentrum</strong><br />
für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das<br />
Helmholtz-<strong>Zentrum</strong> für Umweltforschung<br />
(UFZ) beteiligt. Dazu kommen die Universität<br />
Stuttgart, die Otto von Guericke<br />
Universität Magdeburg, die FU Berlin<br />
sowie das <strong>Zentrum</strong> für Europäische Wirtschaftsforschung<br />
in Mannheim. ENERGY-<br />
TRANS startete im September 2011, ist<br />
auf insgesamt fünf Jahre angelegt und
Bedienung elektrischer Geräte via Smartphone: Die intelligente Steuerung des Haushalts<br />
erfordert eine enge Absprache zwischen Versorger und Kunde.<br />
Um die Infrastrukturen der <strong>Energie</strong>versorgung und ihre gesellschaftliche Akzeptanz geht<br />
es in der Helmholtz-Allianz ENERGY-TRANS.<br />
Einsicht in soziale Verhaltensmuster ist erforderlich, um die <strong>Energie</strong>infrastrukturen der<br />
Zukunft zu gestalten.<br />
EnErgynEws 1|2012<br />
besitzt ein Projektvolumen von 16,5 Millionen<br />
Euro. Die Helmholtz-Gemeinschaft<br />
fördert die Allianz bis 2016 mit insgesamt<br />
8,25 Millionen Euro aus dem Impuls- und<br />
Vernetzungsfonds.<br />
Ein Schwerpunkt der Arbeiten am ITAS<br />
des <strong>KIT</strong> widmet sich neuen Risiken,<br />
welche die <strong>Energie</strong>wende mit sich bringt.<br />
Innovative Technologien und neue<br />
Akteurskonstellationen machen das <strong>Energie</strong>system<br />
deutlich komplexer. So steigt<br />
mit dem Anteil fluktuierender <strong>Energie</strong>n<br />
wie Sonne und Wind auch der Mess- und<br />
Steuerungsbedarf im <strong>Energie</strong>netz. Um<br />
Stabilität und Effizienz zu sichern, wird<br />
zunehmend Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
ins Netz integriert.<br />
Sie muss vor unbefugten Eingriffen und<br />
Angriffen von außen geschützt werden,<br />
damit die Versorgungssicherheit gewährleistet<br />
ist. „Risiken und Regulierung“ ist<br />
eins von fünf Forschungsfeldern der Allianz,<br />
denen insgesamt 17 Projekte zugeordnet<br />
sind. Das ITAS des <strong>KIT</strong> koordiniert<br />
die Felder „Risiken und Regulierung“<br />
sowie „Technisch-soziale Entwicklungen“<br />
und ist an weiteren Forschungsfeldern<br />
beteiligt.<br />
So modellieren die Karlsruher Forscher<br />
Bedingungen und Auswirkungen der<br />
<strong>Energie</strong>wende für ausgewählte Regionen,<br />
untersuchen die Bedeutung der<br />
Erwartungsmuster von Technikentwicklern<br />
in Innovationsprozessen, betrachten<br />
die Wechselwirkungen zwischen sich<br />
wandelnden Kontrollstrukturen und systemischen<br />
Risiken. Das ITAS leitet überdies<br />
die Querschnittaktivität „Nachhaltigkeits-<br />
Monitoring“, die unter anderem Kriterien<br />
zur Bewertung der Nachhaltigkeit von<br />
Entwicklungen im <strong>Energie</strong>system bereitstellt.<br />
Schließlich arbeitet das Institut in<br />
Projekten mit, die Innovationsprozesse<br />
analysieren, energiebezogene Entscheidungs-<br />
und Verhaltensmuster in privaten<br />
Haushalten erforschen sowie die angewandten<br />
Foresight-Ansätze methodisch<br />
reflektieren.<br />
Jens Schippl<br />
weitere Infos:<br />
Jens Schippl<br />
Institut für Technikfolgenabschätzung<br />
und Systemanalyse (ITAS)<br />
Telefon +49 721 608-23994<br />
E-Mail jens.schippl@kit.edu<br />
23
24 EnErgynEws 1|2012 1|2009<br />
<strong>KIT</strong>-<strong>Zentrum</strong> <strong>Energie</strong><br />
Leiter Dr. Peter Fritz<br />
wiss. sprecher Prof. Dr.-Ing. Hans-Jörg Bauer<br />
Chief science Officer (CsO-5) Dr.-Ing. Karl-Friedrich Ziegahn<br />
sprecher Topic 1 – <strong>Energie</strong>umwandlung Prof. Dr.-Ing. Henning Bockhorn<br />
sprecher Topic 2 – Erneuerbare <strong>Energie</strong>n Dr.-Ing. Karl-Friedrich Ziegahn<br />
sprecher Topic 3 – <strong>Energie</strong>speicherung und -verteilung Prof. Dr.-Ing. Thomas Leibfried<br />
sprecher Topic 4 – Effiziente <strong>Energie</strong>nutzung Prof. Andreas Wagner / Prof. Dr.-Ing. Thomas Wetzel<br />
sprecher Topic 5 – Fusionstechnologie Dr. Klaus Hesch<br />
sprecher Topic 6 – Kernenergie und sicherheit Dr. Thomas Walter Tromm<br />
sprecher Topic 7 – <strong>Energie</strong>systemanalyse Prof. Dr. Armin Grunwald<br />
geschäftsführer Dr. Wolfgang Breh<br />
www.energie.kit.edu